Darum geht es: Im Landtagswahlkampf wird heftig über den Wolf gestritten. Soll man ihn abschießen lassen – oder die Zäune erhöhen, damit der Wolf keine Schafe mehr reißen kann? Ein Kommentar von Isabel Christian.

Im sozialen Netzwerk Facebook kursiert derzeit ein Video, das man gut als Werbespot für Wölfe bezeichnen könnte. Es geht um 14 Wölfe, die vor 22 Jahren im Yellowstone Nationalpark in den USA ausgewildert worden sind. Was dann passierte, wird im Video als wahres Wunder beschrieben. Denn die Wölfe haben das Wild aus einigen Regionen des Parks vertrieben. Pflanzen, die den Elchen, Hirschen und Rehen bisher als Nahrung gedient hatten, konnten wieder ungestört wachsen. Sie zogen Insekten an und damit auch Vogelarten, die in diesen Regionen längst als ausgestorben galten. Auf dem Speisezettel der Wölfe stehen auch Kojoten. In dem Maß, in dem die Kojoten weniger wurden, stieg die Zahl der Füchse, Dachse und anderen Kleintieren, die gern Mäuse und Hasen fressen. Schließlich kamen sogar die Biber zurück und ließen durch ihre Dämme die Flüsse eine andere, natürlichere Fließrichtung nehmen. Das Video führt zu einem Gedanken: Wer die Natur schützen und bewahren will, braucht Wölfe. Nur ist Niedersachsen nicht der Yellowstone Nationalpark. Hier gibt es keine weitgehend unberührte Natur auf einer Fläche, die so groß ist wie viermal die Region Hannover.

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In Niedersachsen teilen sich Wölfe das Land mit den Menschen. Mit Wanderern, Forstarbeitern, Landwirten und Waldkindergartenkindern. Und sie teilen es sich mit den Schafen, Heidschnucken, Rindern und Pferden. Dass das Konflikte mit sich bringt, dürfte niemanden überraschen. Aber ein Teil des „Wunders“ aus dem Video trifft auch auf Niedersachsen zu. Die Wölfe jagen und erlegen altes und krankes Wild, sie helfen dabei die Population auf einem naturverträglichen Maß zu halten. Der Wald kann wieder jünger werden, wenn es weniger Rehe gibt, die seine Keimlinge fressen. Und ein junger Wald bietet Tierarten Schutz und Lebensraum, die sich eigentlich schon aus der Region verabschiedet hatten. Doch die Rehe haben unfreiwillige Konkurrenz durch das Vieh. Der Wolf kennt es nicht, dass seine Beute geduldig auf ihn wartet, in einem Käfig aus Zäunen, sodass es ihm nicht entkommen kann. Hier liegt das Hauptproblem.

Immer wieder monieren Landwirte, dass das Umweltministerium sich zu nachsichtig mit dem Wolf zeige. Es gebe einen Grundschutz vor, der nicht ausreiche. 1,20 Meter muss ein Zaun mindestens messen. Er sollte unter Strom stehen und am Boden keine Lücken bieten. Um ganz sicherzugehen, kann der Landwirt noch Flatterband über den Zaun spannen. Doch es gibt Wölfe, die das nicht aufhält. Eine Wölfin im Raum Goldenstedt bei Vechta etwa bricht immer wieder in angeblich wolfssichere Gehege ein. Und im Landkreis Celle soll ein Wolf kürzlich einen wolfssicheren Zaun übersprungen haben, um an die dahinter grasenden Heidschnucken zu kommen. Die Landwirte sehen ihre Einkommensquelle in Gefahr und fordern den Abschuss solcher Tiere. Doch so einfach ist es nicht.

Nicht das Wohl der Wölfe über das der Tierhalter stellen

Der Wolf ist durch EU-Recht geschützt. Wer einen tötet, muss mit hohen Strafen rechnen. Auch eine Behörde wie das Umweltministerium muss gut begründen können, warum es einen Wolf erschossen hat. Dass das Tier Schafe gerissen hat, gilt nicht als Beleg für artfremdes Verhalten. Schafe gelten bei Wölfen als Beute. Zumal würde die Aufweichung des Tötungsverbots dazu führen, dass der Wolf langsam aber sicher wieder aus Niedersachsen verdrängt würde. Denn die meisten Wölfe dürften sich wohl an Vieh vergreifen, wenn es kaum geschützt auf einer Wiese herumsteht. Alles andere wäre artfremdes Verhalten.

Doch man darf nicht den Fehler machen und das Wohl der Wölfe über das der Tierhalter stellen. Die Politik muss dafür sorgen, dass beide miteinander leben können. Das Umweltministerium fördert den Bau von wolfsabweisenden Zäunen, wie es in der Fachsprache heißt, mit bis zu 30.000 Euro. Das ist löblich, doch was hilft es, wenn damit Zäune gebaut werden, die dem Wolf offenbar nicht standhalten? Die Weidetierhalter müssen sich darauf verlassen können, dass das, was sie aufbauen, auch tatsächlich wolfssicher ist. Das Ministerium sollte also seine Grundvoraussetzungen für den Wolfsschutz nach oben korrigieren und im Bedarfsfall auch mehr Geld zur Verfügung stellen, damit jeder Weidetierhalter sich die Tierhaltung auch weiterhin leisten kann und kein Verlustgeschäft macht.

Andernfalls werden die Tierhalter sich nie mit dem Wolf arrangieren können. Und dann hat sich das mit dem Naturwunder für Niedersachsen erledigt.

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