Thorsten Gröger, Bezirksleiter der IG Metall für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, fordert von der Politik ein Frühwarn- und Hilfssystem: Sobald absehbar wird, dass Firmen wegen der Strukturveränderungen beispielsweise in der Automobilindustrie in Schwierigkeiten geraten können, soll das Land gezielt eingreifen und unterstützen. Dazu stehe man bereits im ständigen Dialog mit der Landesregierung und auch mit den Arbeitgebern, sagte der 50-Jährige im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.

Rundblick: Alle reden von Elektromobilität und der totalen Umstellung der Antriebssysteme für unsere Autos. Sehen Sie das eigentlich mit Sorge?

Gröger: Das Problem ist hier die Zusammenballung mehrerer großer Umwälzungen. Da haben wir zum einen die Digitalisierung, die alle unsere Lebensbereiche erfassen und umkrempeln wird. Kein Berufszweig wird davon unberührt bleiben. Zum anderen nimmt der globale Wettbewerb zu – und die Demographie macht manches noch schwieriger, weil das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt und die erwerbstätige Bevölkerung schrumpfen wird. Zu dieser Entwicklung kommen in der Automobil- und Zulieferindustrie noch das riesige Thema des Klimaschutzes hinzu: Wir müssen die Antriebstechnik der Fahrzeuge verändern, wenn wir die globalen Ziele und europäischen Grenzwerte auch einhalten wollen. Daran führt kein Weg vorbei.

Rundblick: Also das Aus für die Verbrennungsmotoren?

Gröger: Für mich gilt: Gewaltige Umstellungen in der Arbeits- und Wirtschaftsweise brauchen eine Vorbereitungszeit. Der Verbrennungsmotor wird nicht von heute auf morgen überflüssig sein können – gleichzeitig muss uns allen aber klar sein: Allein mit einer Optimierung dieser Technologie werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern können.

Rundblick: Also deutet alles auf den Elektroantrieb?

Gröger: Zunächst ist das der Weg, auch wenn ich sage: Wir müssen offen bleiben für neue technologische Entwicklungen und Möglichkeiten. Die Folgen sind gewaltig. Studien schätzen, dass bis zum Jahr 2030 etwa 90.000 Arbeitsplätze in der deutschen Auto- und Zulieferindustrie wegfallen können. Die Zahl bezieht sich auf die direkte Produktion und Entwicklung von Antriebssystemen. Zum einen liegt das daran, dass der Elektromotor eben viel einfacher herzustellen ist als ein herkömmlicher Motor. Außerdem sind Rationalisierungssprünge zu erwarten – und die werden sich zusätzlich auswirken.

Rundblick: Wie sieht es in Niedersachsen aus?

Gröger: Eine Untersuchung vom Herbst 2018 über die Folgen der Elektrifizierung der Autoindustrie in den einzelnen Bundesländern zeigt, dass Niedersachsen noch stärker als Bayern oder Baden-Württemberg stark durch die Fahrzeugindustrie geprägt ist Der Anteil der Beschäftigten im Fahrzeugbau ist in Niedersachsen besonders hoch. Wir haben deshalb frühzeitig gemeinsam mit den Arbeitgebern der Metall- und Elektroindustrie darauf gepocht, dass es einen „Strategiedialog“ mit der Landesregierung geben muss.

Anstelle wohlklingender Forderungen und Zielmarken wünsche ich mir oft mehr umsetzbare und schlüssige Gesamtkonzepte.

Rundblick: Wie soll das funktionieren?

Gröger: Unser Ziel ist, dass wir früh erkennen, wo Veränderungen sich abzeichnen. Dann soll mit vereinten Kräften und gegebenenfalls auch staatlicher Unterstützung möglichst dort Neues entstehen, wo Altes besonders drastisch weggefallen oder geschrumpft ist. Vor allem ist es die Regierung, die sich einen Überblick über die Situation verschaffen muss.

Rundblick: Wie offen sind die Betriebe, die ja dabei mitwirken müssten?

Gröger: Nach unseren Beobachtungen ist ein Drittel der Firmen gut vorbereitet, sie haben die möglichen Veränderungen im Blick und verfügen über Szenarien, wie man darauf reagiert. Ein weiteres Drittel schaut besorgt auf die Veränderungen, hat aber noch keinen Plan, wie man sich positionieren soll. Im letzten Drittel beobachten wir derzeit einen sorglosen Umgang mit dem Thema. Dabei kann man gar nicht pauschal sagen, die großen Firmen wären besser gerüstet als die kleinen. Was wohl einen Ausschlag gibt ist die Frage, ob die Unternehmensleitung vor Ort ist oder in weiter Ferne. Im zweiten Fall sind die Chancen für frühzeitige Vorbereitungen viel geringer.

Rundblick: Was genau soll denn geschehen, wenn ein Unternehmen voraussichtlich ganz drastisch von den Umwälzungen betroffen sein wird?

Gröger: Wir brauchen zum einen Qualifizierung – die Mitarbeiter müssen schnell neue Fähigkeiten lernen, die für andere Tätigkeiten notwendig werden. Außerdem sind wir als Brückenbauer gefordert, beispielsweise über das von uns geforderte „Transformations-Kurzarbeitergeld“: Das soll fließen, wenn die Mitarbeiter in einem Unternehmen sind und dort eine Zeit mit Qualifizierung überbrücken müssen, bis die gleiche Firma für neue Aufgaben und Arbeitsprozessen umgerüstet ist. Bis zu zwei Jahre lang wäre die Zahlung eines solchen Geldes denkbar.

Rundblick: Das Geld soll aus dem Topf der Steuereinnahmen fließen?

Gröger: Es geht um viele Instrumente, beispielsweise auch um Bürgschaften für Kredite, wenn die Banken sich bei notwendigen Investitionen für neue Produktionswege quer stellen. Auch über einen Fonds, in den die Unternehmen einzahlen, müssen wir nachdenken. Schließlich wird die Branche ein Interesse daran haben, dass die nach wie vor nötigen Zulieferketten nicht unterbrochen werden, sondern intakt bleiben – dass also das Produktionssystem erhalten wird. Die Unternehmer müssen Ihrer Verantwortung für Standort und Belegschaften gerecht werden und Strategien entwickeln. Einige Unternehmen haben ihre Hausaufgaben schon gemacht, beispielsweise Volkswagen mit dem Zukunftspakt und der „Roadmap Digitalisierung“.

Rundblick: Hält die Politik überhaupt mit dem Tempo der Veränderungen Schritt?

Gröger: Ich sehe das Problem eher darin, dass viele Politiker Ziele definieren und dabei nicht im Blick haben, wie diese in der Praxis verwirklicht werden können. Anstelle von wohlklingenden Forderungen und Zielmarken wünsche ich mir oft mehr umsetzbare und schlüssige Gesamtkonzepte. Klar ist doch auch: Wenn wir den Umstellungsprozess in der Automobilindustrie nicht vernünftig begleiten und Härten abfedern, droht uns ein beschäftigungspolitisches Desaster.