„Der Umweltminister braucht ein Vetorecht“
Der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarates kommt zu der Aussage, dass nur noch wenig Zeit bleibt, dem Klimawandel etwas entgegenzuhalten. Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter hat bei der umweltpolitischen Sprecherin der Landtags-Grünen, Imke Byl, nachgefragt, wie ernst die Lage ist und was ihrer Ansicht nach in Bund und Land jetzt getan werden müsste.
Rundblick: Vor kurzem hat der Weltklimarat seinen neuen Bericht vorgelegt. Demnach sei das 1,5-Grad-Ziel kaum noch zu erreichen. Kurz darauf sickerte durch: Auch das 2-Grad-Ziel können wir wahrscheinlich vergessen. Was lösen diese Hiobsbotschaften bei Ihnen aus?
Byl: Ich konnte erst einmal ein paar Tage gar nichts dazu sagen. Die Horrormeldungen häufen sich ja, genauso wie die Verzweiflung und die Wut, dass in der Bundes- und Landesregierung trotzdem ein „Weiter-so-wie-bisher“ herrscht. Das war nicht die erste Warnung des Weltklimarates, und die Flutkatastrophe hat ja schon gezeigt, was verstärkt auf uns zukommt.
„Der Bericht zeigt ganz deutlich, dass das Leben der Menschheit auf diesem Planeten auf der Kippe steht.“
Rundblick: Wie ernst ist die Lage aus Ihrer Sicht?
Byl: Der Bericht zeigt ganz deutlich, dass das Leben der Menschheit auf diesem Planeten auf der Kippe steht. Das klingt drastisch, so ist es aber. Es geht längst nicht mehr um Jahrzehnte, die uns noch bleiben, um etwas zu ändern, sondern um wenige Jahre.
Rundblick: Wenn man die pessimistischen Meldungen des Weltklimarates hört, kann man ja fast schon sagen: Dann lassen wir es eben bleiben mit dem Klimaschutz, wir können es ja eh nicht mehr abwenden.
Byl: Es gibt definitiv Tage, da ist es bei all den Hiobsbotschaften manchmal schwer, sich als Klimapolitikerin zu motivieren, weiterzukämpfen. Aber wir haben ja nur diesen einen Planeten. Es ist die Aufgabe der Klimaforschung, immer wieder auf diese drastische Entwicklung hinzuweisen. Der Bericht sagt aber auch ganz klar: Es geht noch, wir können es noch abwenden, wenn jetzt jeder Staat seine Treibhausgasemissionen massiv absenkt. Es fehlt auch nicht etwa an der Technologie, sondern allein am politischen Willen. Wir können die Klimawende definitiv noch schaffen, wenn jetzt alle mit anpacken und die richtigen politischen Entscheidungen getroffen werden. Das ist die positive Nachricht.
„Jedes Zehntel Grad Erderwärmung mehr hat beispielsweise Auswirkungen darauf, welche Fluchtbewegungen wir in ein paar Jahren haben werden, wie viele Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren.“
Rundblick: Wenn doch aber die Grenzwerte voraussichtlich eh überschritten werden, ist es dann nicht sinnvoller, sich voll und ganz auf die Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu fokussieren, als einen aussichtslosen aber womöglich schädlichen Kampf ums 1,5-Grad-Ziel zu führen?
Byl: Klimaschutz ist alternativlos. Jede weitere Erderwärmung bringt uns weiter an gewisse Kipppunkte, mit denen ein Domino-Effekt einsetzt, der massive Veränderungen auslösen wird. Es lohnt es sich aber auch, um jedes Zehntel Grad zu kämpfen. Jedes Zehntel Grad Erderwärmung mehr hat beispielsweise Auswirkungen darauf, welche Fluchtbewegungen wir in ein paar Jahren haben werden, wie viele Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren. Deshalb ist jetzt nicht die Zeit, den Kopf in den Sand zu stecken – stattdessen haben wir die einmalige Chance, die Klimakrise zu begrenzen und unsere Gesellschaft und Wirtschaft klimagerecht aufzustellen.
Rundblick: Der Bericht der Weltklimarates sagt aber auch klar, dass global Treibhausgasemissionen reduziert werden müssen. Was nützt es, wenn Niedersachsen, Deutschland oder die EU allein klimaneutral werden?
Byl: Deutschland hat bereits gezeigt, welchen Einfluss wir haben können. Das ursprüngliche Erneuerbare-Energien-Gesetz beispielsweise wurde vielfach kopiert. Gute Politik findet eben Abnehmer. Zudem haben wir in der Vergangenheit und auch aktuell noch unglaublich viele Treibhausgasemissionen verursacht. In Größenrelation gesetzt ist Deutschland einer der globalen Spitzenreiter in Sachen CO2-Emissionen, unser aktueller umgerechneter Pro-Kopf-Ausstoß doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt. Uns trifft also auch eine besondere Verantwortung. Wir erleben aber auch, dass andere Länder umschwenken. In den USA gibt es mit Präsident Biden eine Wende, vor der Wahl war das ja eine Vollkatastrophe. In China sehen wir zwar, dass neue Kohlekraftwerke gebaut werden, aber dort werden ebenso die Erneuerbaren in einem unglaublich hohen Ausmaß und Tempo ausgebaut.
Rundblick: Muss der Klimaschutz eine größere Rolle in der Außenpolitik spielen?
Byl: Auf jeden Fall, wir brauchen eine Klima-Außenpolitik – und Klima-Patenschaften mit dem globalen Süden. Unser eigener Wohlstand baute bislang auf der Ausbeutung des Bodens. Wir können deshalb jetzt nicht einfach so dem Rest der Welt von oben herab die Nutzung fossiler Energie verbieten. Stattdessen sollten wir in der Entwicklungszusammenarbeit auf Wirtschaftskooperationen setzen, die nicht auf Ausbeutung basieren, sondern auf Augenhöhe stattfinden. Das bedeutet etwa, dass wir nicht einfach Solarpanels in die Wüste stellen, sondern mit den Menschen in den Ländern ernsthaft zusammenarbeiten. Wüste klingt zwar immer nach leerem Land, aber dort leben auch Nomadenvölker, die um ihre Rechte kämpfen. Wichtig ist auch, dass wir uns dabei nicht wieder abhängig machen dürfen von Unrechtsstaaten und Diktaturen. Ein vernetzter Energiemarkt ist wichtig, aber der funktioniert besser auf kurzen Wegen.
„Wir können deshalb jetzt nicht einfach so dem Rest der Welt von oben herab die Nutzung fossiler Energie verbieten. Stattdessen sollten wir in der Entwicklungszusammenarbeit auf Wirtschaftskooperationen setzen.“
Rundblick: Womit wir dann wieder in Niedersachsen wären. Hier lahmt der Ausbau der Erneuerbaren Energie allerdings. Auch weil niemand die Anlagen vor der Haustür haben möchte.
Byl: Das stimmt so nicht. Erstmal dürfte die Antwort darauf doch nicht sein, unsere Anlagen deshalb einfach in afrikanischen Ländern oder Saudi-Arabien aufzustellen, also ungefragt vor die Haustüren anderer. Und außerdem ist die Akzeptanz in unserer Bevölkerung etwa für Windkraftanlagen viel größer als oft fälschlicherweise angenommen wird. Dass nur die Menschen in der Stadt die Windkraft wollen und die Landbevölkerung nicht, ist eine Mär. Das zeigen auch die Umfragen und Studienergebnisse dazu. Es sind meist nur wenige, aber laute Gruppen, die gegen die Anlagen sind. Diese haben es allerdings leicht, gegen Anlagen zu klagen, weil es einen zu großen Graubereich gibt. Von der Planung über die Genehmigung bis zum Bau einer Windkraftanlage dauert es hierzulande oft sechs bis sieben Jahre, ein heftiger Zeitraum mit Blick auf die Klimakrise. Das liegt auch daran, dass viele Bestimmungen zu unkonkret sind und sich die örtlichen Träger der Regionalplanung und die Genehmigungsbehörde vor Ort erst einmal in die Rechtsprechung der vergangenen Jahre einarbeiten müssen. Hier muss die Politik die Regeln konkreter fassen und die Landesregierung die örtlichen Genehmigungsbehörden stärker unterstützen.
Rundblick: Häufig werden auch Arten- und Klimaschutz gegeneinander ausgespielt. Welche Seite sollte Vorrang haben?
Byl: Der größte Artenkiller ist die Klimakrise, deshalb kann man beide Seiten nur zusammen denken. Für Niedersachsen ist es wichtig, ein besseres Arten-Monitoring aufzubauen, damit es eine verlässliche Grundlage für Planungen und Genehmigungen gibt. Hier versagt jedoch die Landesregierung, ein valides System aufzubauen, deshalb hinken wir bei der Datengrundlage hinterher.
Rundblick: Immerhin hat der Landtag ja inzwischen ein Klimagesetz verabschiedet. Stimmt Sie das zuversichtlich, dass sich etwas tut?
Byl: Überhaupt nicht, nein. Das Klimagesetz hat nichts verändert. Es reicht nicht, veraltete Zielzahlen aufzuschreiben, ohne sie mit einem Programm zu unterlegen.
Rundblick: Was sollte die Landesregierung jetzt tun?
Byl: Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass ein Klimaschutzministerium bei allen Vorhaben der Landesregierung einen Klima-Check durchführt und ein Veto-Recht hat, um den Klimaschutz endlich in den Fokus zu setzen. Das könnte auch jetzt schon vom Umweltministerium vorgenommen werden. Außerdem sollte die Landesregierung bei all ihren Maßnahmen einen Schattenpreis von 180 Euro pro Tonne CO2 von sich aus einpreisen. Dieser Schattenpreis macht die bislang unsichtbaren Folgekosten dann sichtbar. Natürlich hätte das direkte Auswirkungen, etwa wenn es um den klimaschädlichen Ausbau von Autobahnen oder die Förderung von Verbrenner-Motoren mit Steuergeldern geht. All das würde es dann wohl sehr schnell nicht mehr geben. Stattdessen lohnt es sich, in die entsprechenden Klimaschutz-Alternativen zu investieren, von denen am Ende sowohl Klima als auch Mensch profitieren. Zum Beispiel in die Sanierung von Gebäuden, in einen funktionstüchtigen ÖPNV, Schienen- und Radverkehr und in die Wiedervernässung von Mooren.