Der Rundfunk muss endlich im digitalen Zeitalter ankommen
Nicht erst seit dem Schweizer Volksentscheid wird auch in Deutschland über die Zukunft von ARD, ZDF und Deutschlandradio diskutiert. Wie könnte eine Reform aussehen? Ist die Höhe des Rundfunkbeitrags angemessen? Und welche Entwicklungsmöglichkeiten sollten die Öffentlich-Rechtlichen im Internet haben? Dazu beginnt heute eine Serie von Gastkommentaren im Politikjournal Rundblick. Den Anfang macht der ehemalige Landwirtschaftsminister, Christian Meyer, der jetzt medienpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag ist.
Rechte Populisten von AfD bis SVP rüsten in Europa zum Sturm auf das demokratische Bollwerk der Öffentlich-Rechtlichen. Das aber nicht erst seit der Schweizer „No Billag“-Abstimmung: Bereits 2010 führte die Mediengesetz-Änderung von Ungarns Präsident Orban zu einem Aufschrei. Schließlich wurden öffentlich-rechtliche Sender damit plötzlich gleichgeschaltet – und das mitten in Europa. Vorher kannte man das nur vom Medienriesen Berlusconi, der Anfang der Neunziger mit seinem privaten Medienmonopol das italienische Parteiensystem komplett auf den Kopf stellte.
Ganz neue Entwicklungen auch in Dänemark: Hier ist der Rundfunk dank Serien wie „Borgen“ für erfolgreiche, hochqualitative Formate bekannt. Doch der Rückhalt schwindet: Jeder vierte Zuschauer glaubt, dass der dänische Rundfunk die Gebühr nicht angemessen genutzt habe. Nun steht ein Systemwechsel an: Der Etat wird um ein Fünftel gekürzt und der Öffentliche Rundfunk über die Einkommenssteuer finanziert.
Ob in Dänemark, Italien, Ungarn, der Schweiz oder auch in Deutschland – eines haben alle Länder gemeinsam: Vor allem konservative und rechte politische Strömungen klagen seit Jahren, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei „einseitig“, „politisch gesteuert“ oder „zwangsfinanziert“. Europaweit haben rechtspopulistische Parteien in den öffentlichen Sendern ein Feindbild gefunden. Auch in Niedersachsen lehnte die AfD jüngst die Rundfunkstaatsverträge im Medienausschuss mit den Worten ab, dass man „diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ grundsätzlich ablehne.
Es braucht mehr Spielraum für die Sender im Netz!
Christian Meyer
Ich bin überzeugt, gerade in diesen Zeiten braucht es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr denn je! Fake News, Hass und Hetze, Filterblasen in sozialen Netzwerken können manipulieren und die Demokratie gefährden. Durch seine hohen journalistischen Standards was Vielfalt, Transparenz und Seriosität angeht, kann der Rundfunk hier als vertrauensvolle Quelle und stabilisierende Leitplanke fungieren. Um diese Funktion weiter erbringen zu können, braucht es aber eine zeitgemäße Reform. Er darf nicht geschwächt werden, sondern muss ins digitale Zeitalter kommen dürfen! Im Fokus liegt dabei zunehmend die Online-Aktivität des Rundfunks – denn online liegt die Zukunft der Mediennutzung. Es braucht also mehr Spielraum für die Sender im Netz!
Der seit einem Jahrzehnt unveränderte Online-Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen unterliegt Einschränkungen, die längst aus der Zeit gefallen sind. Deswegen muss der Telemedienauftrag verbessert werden: Das öffentlich-rechtliche Nachrichten nur 7-Tage im Netz stehen dürfen, ist unzeitgemäß und überlässt damit Fake News ihren Platz. Zudem kauft sich kaum einer die Zeitung von vor sieben Tagen, wenn er wissen will, was etwa Bernd Althusmann noch vor der Landtagswahl zu VW gesagt hat.
Polemik lenkt von der wirklichen Krise ab
Auch das Verbot der Presseähnlichkeit für die Online-Angebote der Sender sollte fallen. Wenn der Chef der Zeitungsverleger, Mathias Döpfner, diese Angebote als „gebührenfinanzierte Staatspresse“ kritisiert, so ist das schlicht Polemik und lenkt von der wirklichen Krise ab. Ein Blick in die USA zeigt: Auch dort ist die Presse in der Krise. Das kann aber sicher nicht an den öffentlich-rechtlichen Online-Angeboten liegen – schließlich gibt es dort keinen nennenswerten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Begrenzung nur auf Teaser-Texte oder gar nur Verlinkungen wäre rückwärtsgerichtet und dem hiesigen Kommunikationsverhalten von Internetnutzern gegenläufig. Dürfte der NDR keine Hintergrundartikel mehr schreiben, wäre es so, als würde man den Nachrichtensprechern den Teleprompter als presseähnlich verbieten.
Die bisherige Struktur-Debatte richtet sich zurzeit sehr einseitig danach aus, dass ein gewisser Rundfunkbeitrag nicht überschritten werden soll, dem dann wiederum das Programm angepasst werden muss. Das ist aber vom falschen Ende gedacht: Zunächst sollte eine Debatte über den Auftrag an sich stattfinden. Wie wird sich das Mediennutzungsverhalten ändern? Was muss der Öffentlich-Rechtliche dafür leisten? Was braucht er dafür für Finanzen? So wird ein Schuh draus.
Wie wäre es mit einer Gema für Printmedien?
Und ist die Lösung für seriöse Medien nicht auch ein höherer Anteil an den Mediengebühren? Wir brauchen neue Quellen seriöser Recherche. Beim Aufkommen der Audio- und Videokassette versuchte man deren Wirkung rechtlich einzuschränken. Später hat man mit der Gema eine Abgabe auf den Kauf von Kopiergeräten und das Abspielen von Musik im Internet bei den Herstellern erhoben. Wie wäre es mit einer Entlohnung von Online-Artikeln seriöser Zeitungen durch eine Art Gema für Printmedien? Warum nicht einen Teil der Mediengebühren für nicht-kommerzielle Angebote vor Ort einsetzen und die seriöse Recherche der Zeitungen unterstützen? Rot-Grün hatte 1990 bis 1994 mit einer solchen Abgabe aus den Rundfunkgebühren den nicht-kommerziellen Lokalfunk von H1 bis radio aktiv im Lande aufgebaut und gestärkt.
Ich glaube, die Gesellschaft ist bereit, für seriöse, gut recherchierte Nachrichten ihren Beitrag über eine angemessene Digital- und Haushaltsabgabe zu leisten.