Der Niedersachse der Woche…
…ist 57 Jahre alt, arbeitet seit drei Jahren in Hannover und beobachtet das landespolitische Geschehen in Niedersachsen sehr aufmerksam. In der zurückliegenden Woche hat er bewiesen, wie einfühlsam und treffend er wichtige Ereignisse beschreiben und darstellen kann. Aus Anlass eines runden Jubiläums hat er seine Eindrücke von Begegnungen geschildert – und das Ergebnis war bewegend. Der Niedersachse der Woche heißt…
…Peter Kunz, ist Studioleiter des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) in Hannover und außerdem ein begnadeter Autor von Fernsehreportagen.
Ein besonders gut gelungenes Stück seiner Schaffenskraft präsentierte das ZDF in der vergangenen Woche, rund um den Tag der deutschen Einheit. Kunz, der Westdeutsche, und sein in Rostock aufgewachsener Kollege Andreas Postel hatten die TV-Reportage „Grenzgänger – Spurensuche am ehemaligen Todesstreifen“ fertiggestellt, ein halbstündiger Film über Menschen, die dort leben oder sich gerade dort aufhalten haben, wo bis vor 30 Jahren noch Mauer, Stacheldraht und Schießanlagen waren, an der innerdeutschen Grenze. Was bewegt die Leute, die hier vorbeikommen? Wie denken sie über früher? Was halten sie von der Erinnerung?
Sehen Sie auch:
Die Dokumentation von Peter Kurz und Andreas Postel können Sie hier nachschauen:
Grenzgänger – Spurensuche am ehemaligen Todesstreifen
Es ist beeindruckend, was die beiden Autoren den Leuten, die sie gefilmt haben, entlocken konnten. Da war ein älterer Mann namens Willi Schütte, der 1961 als Kind seinen Ort Böckwitz an der Grenze verlassen musste, der zwangsumgesiedelt wurde, weil er als nicht regimetreu genug gegolten hat. Nach 1990, als er dann in sein altes Dorf zurückkehrte, sagte zu ihm die Nachbarin, die die ganze Zeit weiter dort leben durfte: „Als ihr abgehauen seid, mussten wir Eure Tiere versorgen. Das war schwer.“ Daraufhin der alte Mann: „Wir sind damals nicht abgehauen, Dein Onkel war Polizist und hat uns vertrieben.“ Seit diesem Disput der sich wieder Begegnenden, sagt Schütte in die Kamera, „reden wir im Dorf nicht mehr viel miteinander“.
Eine Reportage mit wertvollen Geschichten
Es sind Geschichten wie diese, die die Reportage so wertvoll machen – denn fast jede Begebenheit zeigt eine tieferliegende, ernste Bedeutung. Ein Eichsfelder, der nach der Grenzöffnung in die USA ging und inzwischen zurückkehrte – „weil es schöner ist, wenn die Kinder im Kreis der ganzen Familie aufwachsen“. Ein Duderstädter, der einen alten Grenzturm kaufte, weil er den Abriss verhindern wollte.
Überhaupt sind mehrere hier, die jetzt, 30 Jahre nach dem Mauerfall, mit Hinweistafeln oder Ausstellungen an die Zeit der Teilung erinnern wollen. Sie spüren, dass es nicht gut wäre für die jungen Leute, wenn die Symbole der Erinnerung ganz verloren gingen. Es geht um Menschen, die „das richtige Leben im falschen suchten“, weil sie sich mit dem SED-Regime arrangiert hatten und heute selbstkritisch zurückblicken. Oder um die, die nach der friedlichen Revolution ihre Ost-Identität leugneten und heute merken, dass das nie wirklich nötig, ja vermutlich sogar verkehrt war.
Der Westen hat den Osten nach der Wiedervereinigung eingeordnet. Dabei blieb auf der Strecke, dass West und Ost nur zwei Seiten einer Medaille waren.
Als eine Gruppe von Trabi-Liebhabern gefilmt wird, die sich regelmäßig in ihren alten Autos treffen, da ist von der Identität die Rede. Der Trabi, erklären die Autoren, war nicht das Symbol der Diktatur oder der schlimmen Zustände in der DDR, sondern er steht für die Lebenswege derer, die in der DDR aufgewachsen waren – auch für die jener, die den Staat ablehnten.
Zu Wort kommen Leute, die heute die Gesellschaft für kühl halten und das Gemeinschaftsgefühl aus der DDR-Zeit vermissen. Aber auch jene, die daran erinnern, wie viele Häuser und Straßen seit 1990 saniert wurden – Vorgänge, zu denen die DDR „nie in der Lage gewesen wäre“.
Viele Leute wollen heute nicht, dass zu viel Gras über die inzwischen grüne Grenze wächst.
Die schönsten Zitate aus dem Film lauten: „Der Westen hat den Osten nach der Wiedervereinigung eingeordnet. Dabei blieb auf der Strecke, dass West und Ost nur zwei Seiten einer Medaille waren.“ Und: „Viele Leute wollen heute nicht, dass zu viel Gras über die inzwischen grüne Grenze wächst.“
Peter Kunz, ein Journalist mit reicher Erfahrung als Auslandskorrespondent, hat mit seinem Kollegen ein beeindruckendes journalistisches Werk abgeliefert. Dafür bekommt er von der Rundblick-Redaktion den Titel „Niedersachse der Woche“. Glückwunsch dazu!