Der neue Boss der Bauern
Als Albert Schulte to Brinke vor drei Jahren mit 100 Prozent Zustimmung zum neuen Präsidenten des niedersächsischen Bauernverbands gewählt worden war, werteten ihn schon viele als Übergangs-Präsidenten. Deshalb kam es nun auch nicht überraschend, dass sich der Milchviehwirt aus Bad Iburg in diesem Jahr, ganz knapp vor seinem 65. Geburtstag, nicht erneut zur Wahl stellen wollte. Formal hätte er zwar noch einmal gedurft, doch für Schulte to Brinke war nun der richtige Moment gekommen für einen Generationenwechsel – ein Neuer sollte ran und den Landvolk-Verband in die Zukunft führen.
Dieser Neue ist nun gewählt, am 1. Januar übernimmt Holger Hennies (50) die Verbandsführung offiziell. Mit 90 von 164 abgegebenen Stimmen wählten die (eigentlich 200) Delegierten des Landvolks den Landwirt aus der Region Hannover zum neuen Präsidenten. Aufgrund der Corona-Pandemie lief die Präsidiumswahl erstmals per Brief ab. Ausgezählt wurden die Stimmzettel dann gestern während der Mitgliederversammlung des Bauernverbands, die in hybrider Form ablief – die Verbandsspitze kam mit den Ehrengästen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) und Umweltminister Olaf Lies (SPD) in Hannover zusammen, während die Delegierten der Veranstaltung per Videoübertragung folgen konnten.
Vier Wochen ruhiger Wahlkampf
Vorangegangen waren vier Wochen eines eher ruhigen Wahlkampfes. Dass es diesmal eine echte Auswahl gab, war nun ein Novum beim Bauernverband, doch der Wahlkampf blieb auch deshalb eindeutig ruhig, weil sich die beiden Bewerber inhaltlich gar nicht so sehr unterscheiden. Vom Charakter und im Auftreten hingegen schon. Beobachter sprachen deshalb vorab davon, dass es bei der Wahl eher um eine Typfrage gehe.
Holger Hennies und Jörn Ehlers waren zuletzt beide Vize-Präsidenten. Während Hennies nun an die Spitze aufsteigt, bleibt Ehlers trotz seiner Niederlage weiter treu an dessen Seite und will kollegial als Stellvertreter im Landvolk-Präsidium mitwirken. In seiner ersten Rede als neu gewählter Landvolk-Präsident sagte Hennies gestern, er habe drei Jahre „Präsidiumslehrzeit“ genossen und habe dabei von Schulte to Brinke gelernt, „sympathisch zu führen und im Team zu führen“, was er jetzt fortsetzen wolle. Komplettiert wird das vierköpfige Führungsteam durch Ulrich Löhr und Manfred Tannen.
Einer, der auf den Tisch hauen kann
Obsiegt hat mit Hennies nun ein Mann, den man vielleicht liebevoll als zunächst sanft erscheinenden Riesen beschrieben könnte. Aufgrund seiner Statur und Körpergröße nimmt man ihn unweigerlich wahr, wenn er einen Raum betritt – und auch, wenn er auf einer Bühne steht und zu einer aufgewühlten Menge reden muss.
Das unterscheidet ihn deutlich von seinem Mitbewerber Ehlers, der kein großer Freund der deftigen Reden ist. Ehlers ist eindeutig der Ruhigere, auch Vorsichtigere der beiden. Sein Auftreten erinnert daher eher an den bisherigen Präsidenten Schulte to Brinke (Ministerpräsident Stephan Weil bezeichnete diesen in seinem Grußwort lobend als „durch und durch freundlichen Menschen“). Im Rundblick-Gespräch sagte Ehlers zwar, er scheue auch keine Rede am Rand einer Bühne, wenn es sein müsse – doch sein Metier wäre das eher nicht.
Hennies hingegen hat schon mehrfach bewiesen, dass er auch vor Vertretern der Bauernbewegung „Land schafft Verbindung“ deutliche Worte finden und sogar angreifen kann. Wenn sein Gegenüber dann zu brüllen anfängt, prallt das an ihm einfach ab.
Ein Aktenfresser und Umweltexperte
Doch Hennies allein darauf zu reduzieren und zu meinen, hier komme nun jemand, der eben ordentlich auf den Tisch hauen kann und sich dadurch durchsetzt, wäre zu kurz gesprungen. Denn auch fachlich kann ihm keiner etwas vormachen. Fragt man andere nach Hennies‘ Eigenschaften, fällt schon mal der Begriff „Aktenfresser“ – auch er selber würde sich wohl so nennen. Es macht ihm nichts aus und er genießt es sogar, über Nacht einen Stapel Aufsätze, Stellungnahmen und Studien durchzuarbeiten, damit er am nächsten Tag perfekt vorbereitet ist.
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Dass er sich durchaus gerne mit geduldigem Papier beschäftigt, hat er auch mit seiner Promotion bewiesen. Das Thema seiner Dissertation, die er am Institut für Agrarökonomie der Universität Göttingen eingereicht hatte, lautete „Stand und Perspektiven der flächenbezogenen Umweltberatung“. Unter anderem deshalb gilt er auch als der Umweltexperte seines Verbands. Im vergangenen Jahr war er beim Landvolk für die konzertierte Klage-Aktion gegen die Nitrat-Messstellen zuständig.
Die Zeit dafür findet er allerdings nur, weil ihm zuhause der Rücken freigehalten wird: Sein Hof im Uetzer Ortsteil Schwüblingsen gehört zu einer Ackerbaubetriebsgemeinschaft, die er sich mit vier Kollegen teilt. Um die Schweinehaltung für Direktvermarktung, den Reitbetrieb und einen Lern-Bauernhof betreibt er gemeinsam mit seiner Frau.
Berlin kann von uns viel lernen
In den nächsten drei Jahren wird es nun an Hennies liegen, Niedersachsens Landwirte gut durch turbulente Zeiten zu lenken. Klimawandel und Artenschutz, der Umbau der Nutztierhaltung und der Streit um die Düngeverordnung fordern die Branche heraus. Die niedersächsische Landwirtschaft stehe vor „existenziellen Herausforderungen“, fasste Hennies gestern in seiner ersten Rede die Lage zusammen. Die Bauern würden zwischen dem Druck des Weltmarkts und dem Druck der gesellschaftlichen Ansprüche zerrieben. Ministerpräsident Weil hatte für diese Position zuvor das Bild des Sandwichs gewählt, Hennies korrigierte aber: „Ein Sandwich ist da noch zu weich, das sind Mühlsteine.“ Es gehe nun darum, dass die Landwirtschaft aus diesem Mühlstein herauskomme.
Dabei sei es erfreulich, dass „zumindest im Land Politiker sind, die uns wohngesonnen sind“, sagte Hennies. Gemeint waren damit ganz offensichtlich Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) und Umweltminister Olaf Lies (SPD), die beide als Gäste an der Mitgliederversammlung des Landvolks teilgenommen haben. Er drückte damit aber auch aus, dass man im Landvolk mehr als unzufrieden ist mit dem Handeln der beiden zuständigen Ministerinnen auf Bundesebene (Julia Klöckner und Svenja Schulze) sowie mit dem Deutschen Bauernverband. Hennies kündigte an, er wolle etwa das Erfolgsmodell des „Niedersächsischen Weges“ für mehr Artenschutz nach Berlin tragen. „Die Politik und der Verband können hier von Niedersachsen eine Menge lernen, was Offenheit, Gemeinschaftsgeist, Entwicklung und Zukunftsperspektiven angeht.“
Von Niklas Kleinwächter