Der Krampf mit dem Kampf „gegen Rechts“
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat gestern bei der Urteilsverkündung deutliche Worte gefunden: „Ein Parteienverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot.“ Die NPD müsse wirklich gefährlich sein, wenn man sie beseitigen wolle. Und weil das nicht belegt sei, ist der vor fast vier Jahren gestellte Verbotsantrag der Bundesländer krachend zerschellt – genauso wie ein ähnlicher, 2003 entschiedener Antrag. Das ist eine schallende Ohrfeige für die deutschen Landesregierungen, eine Schmach. Verbissen wollten sie die ungeliebten Rechtsextremisten bekämpfen – und haben sich dabei, zum wiederholten Mal, in der Wahl ihrer Mittel total verschätzt.
Wie konnte das geschehen, da es doch schon 2013 viele Warnungen gab, ein neuer Vorstoß für ein Verbotsverfahren könne wahrscheinlich wieder an den hohen verfassungsrechtlichen Hürden für einen solchen Schritt scheitern? Offenbar hatte hier bei den Akteuren, die nach Karlsruhe gezogen waren, auf breiter Front die Gesinnungs- über die Verantwortungsethik triumphiert. Das gilt für zwei politische Richtungen: Die Linken, vorwiegend bei SPD und Grünen, wollten ein Zeichen der Ausgrenzung setzen – da rechtsextremes Gedankengut in ihrer Sichtweise in der demokratischen Gesellschaft nichts zu suchen hat, also ausgemerzt werden muss. Die Konservativen, vorwiegend in der CDU, wollten ein Zeichen der Stärke und Handlungsfähigkeit des Staates setzen. Die Adressaten sind in beiden Fällen vor allem die eigenen Anhänger, man trägt eigene Bekenntnisse wie eine Monstranz vor sich her, um den Applaus der Gleichgesinnten zu erheischen. Getreu dem Motto: Je stärker man sich von den Bösen abgrenzt, desto mehr kann man sich als die Guten präsentieren.
Dabei ist das Signal in beiden Fällen verheerend. Den Konservativen muss entgegnet werden: Die Stärke des demokratischen Rechtsstaats im Umgang mit Extremisten ist eben gerade nicht das Parteienverbot, sondern es sind der Dialog und die Überzeugungsarbeit. Denn die Argumente der Demokraten sind immer stärker als die Argumente der Antidemokraten, also sind Rechtsextremisten im Diskurs zu schlagen. Den Linken muss gesagt werden: Die Ausgrenzung von rechtsextremen Gedankengut, wie von links propagiert, widerspricht der liberalen Verfassung. Wer sich weigert oder es sogar verbieten will, eine Auseinandersetzung mit undemokratischen Denkweisen zu beginnen, handelt selbst autoritär und indoktrinär. Und er läuft Gefahr, die Meinung und nicht das Handeln anzuprangern. Wenn man Rechtsextremisten verfolgt, weil sie rechtsextrem denken, nicht weil sie gefährlich agieren, droht man das Augenmaß zu verlieren. Ist man dann noch bereit, mit ebensolcher Konsequenz gegen linksradikale Autonome vorzugehen, die in Göttingen auf Polizisten einprügeln?
In der Politik gibt es immer wieder Beispiele für diese Dominanz der Gesinnungsethiker. Oft kann man müde lächelnd darüber hinwegsehen. Hier ist es anders, denn die Entscheidung zum NPD-Verbot fällt in eine Phase der Krise der Demokratie. Am rechten Rand steht eine große Gruppe, die Verschwörungstheorien verbreitet und behauptet, alle etablierten Parteien, die Medien und die Justiz hätten einen Pakt geschlossen und wollten unliebsame Elemente beseitigen und verbieten. Das gute an diesem Urteil ist nun, dass die Verschwörungstheoretiker damit zunächst einmal widerlegt werden – die Gewaltenteilung funktioniert, das höchste Gericht hat einen Antrag der Landesregierungen verworfen.
Ein fahler Beigeschmack bleibt aber: Ein weiteres Mal hat der Staat – hier vertreten durch die Bundesländer – mit offenbar unzureichender Begründung versucht, eine extremistische Partei auszulöschen. Sind die Repräsentanten der demokratischen Parteien unfähig, der NPD im Meinungsstreit zu begegnen? Man kann noch weitere Kreise ziehen: Von der Weigerung, sich gemeinsam mit AfD-Vertretern auf Podiumsdiskussionen vor Wahlen zu zeigen, über Protestkundgebungen vor Parteitagen rechtspopulistischer Parteien bis hin zu Entscheidungen von Gastwirten, ihre Räume nicht mehr für die AfD anzubieten.
Die Lehre aus all diesen Entwicklungen lautet: Je mehr man der NPD oder der AfD oder den Pegida-Demonstranten ein Schmuddelkind-Image anhaftet, je stärker man darauf verzichtet, ihre Positionen anzuhören und darauf zu erwidern, desto erfolgreicher wird man sie machen. (kw)