Darum geht es: Im März haben Bundestag und Bundesrat ein Gesetz zu den Kriterien der Suche nach einem Atommüll-Endlager beschlossen. Nun gab Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel im Landtag dazu eine Regierungserklärung ab. Ein Kommentar von Martin Brüning:

Macht niemandem ein X für ein U vor: Umweltminister Stefan Wenzel in der Regierungserklärung – Foto: conserver

Die Grünen leiden gerade. Im Saarland sind sie hochkant aus dem Landtag geflogen, in den Umfragen liegen sie derzeit unter dem bereits schwachen letzten Bundestagswahlergebnis und Teile der Hauptstadt-Presse attestieren der Partei, dass die „Nabelschnur zum Zeitgeist zertrennt“ sei. Statt Mainstream nur noch angegraut – diese Erkenntnis kommt vor gleich mehreren wichtigen Wahlen zeitlich recht ungelegen. Da kommt es wiederum gelegen, mit Hilfe einer Regierungserklärung im Landtag zumindest schon einmal die eigenen Leute zu sammeln und zu vereinen. Das gelingt in Niedersachsen mit keinem Thema besser als mit der Endlagerfrage und Gorleben. „Die Regierungserklärung hat eine „bedeutende politische Verbindlichkeit für Parlament und Regierung“, heißt es auf der Internetseite des Landtages Die gestrige Regierungserklärung von Umweltminister Stefan Wenzel hatte eine Bedeutung für seine eigene Partei, was beim Schlussapplaus nach der Rede deutlich wurde. Am lautesten wurde in den Reihen der Grünen-Fraktion geklatscht. SPD, CDU und FDP waren gestern nur politische Zaungäste der Debatte.

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In Wenzels Rede wurde deutlich, warum der Zeitgeist und die Partei nicht mehr ganz zusammenpassen wollen. Das Gestern spielte eine zu große Rolle. Ernst Albrecht und Gorleben, Widerstand in Brokdorf, ein Dankeschön an die Frauen in der Atomkraftbewegung und natürlich auch explizit an seine „Parteifreundin aus dem Wendland“, Rebecca Harms – das waren Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen und es war ein wenig Balsam für die aktuell so malträtierte grüne Seele. Mit „politischen Leitlinien, Handlungen und Pläne der Landesregierung“, wie es zum Thema Regierungserklärung auf der Landtagsseite heißt, hatte die Rede nur wenig zu tun.

Das bedeutet nicht, dass Wenzel in der Causa Endlagerung durchgängig unrecht hatte. So ging er zu Recht auf Fehlerkorrekturen ein, zu denen auch die nun beschlossene Rückholbarkeit für eingelagerten Atommüll gehört. Es ist durchaus nicht auszuschließen, dass kommende Generationen zu anderen Ergebnissen kommen oder sich der atomare Abfalls nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse doch noch einmal als nützlich erweisen könnte. Für solche Fälle braucht es die Reversibilität. Auch Wenzels Skepsis zum Zeitrahmen kann man teilen. Das Jahr 2031, bis zu dem ein Ort für das Endlager gefunden sein soll, klingt weiter entfernt als es in Wirklichkeit ist. Ein Ergebnis innerhalb der nächsten 14 Jahre ist eher unrealistisch.

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Zugleich konnte Wenzel aber nicht aus seiner Haut und stellte in seiner Rede den Standort Gorleben wieder in Frage. Er sei sich sicher, dass der Standort in einem ergebnisoffene und wissenschaftsbasierten Verfahren ausscheiden werde, so Wenzel. Das kann man so sagen, wenn man den Parteifreunden und Anti-Atom-Recken im Wendland etwas Gutes tun will. Andererseits muss man als Landesumweltminister nicht sofort einen grünen Klecks auf die sprichwörtliche weiße Landkarte malen.

Die von Wenzel viel gepriesene Bürgerbeteiligung wird ohnehin voraussichtlich noch die größte Herausforderung auf dem Weg zu einem Endlager. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich die Anwohner am ausgewählten Endlagerort mir nichts, dir nichts damit abfinden werden. Trotz aller Transparenz und wissenschaftlicher Daten sind Proteste bereits heute absehbar. Dabei könnte man bereits wetten, wer an der Spitze der Protestbewegung stehen wird. Natürlich werden es die Grünen sein. Einige Strategen freuen sich vielleicht schon klammheimlich darauf: Der Kampf von gestern geht morgen weiter.

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