Der Glücksspiel-Gipfel beim Rundblick
Glücksspiel-Gipfel beim Rundblick: Pünktlich zum Aktionstag gegen die Glücksspielsucht an diesem Mittwoch trafen sich in der Rundblick-Redaktion Axel Holthaus, Sprecher der Geschäftsführung bei Lotto Niedersachsen, und Daniel Henzgen, Bevollmächtigter der Geschäftsführung für Politik und Außenbeziehungen bei Löwen Entertainment. Das Gespräch führte Martin Brüning.
Rundblick: Die Bekämpfung der Spielsucht steht im Zentrum des Glücksspielstaatsvertrags. Wenn man sich die Zahlen ansieht betrifft das aber nur 0,5 Prozent der Bevölkerung. Ist die Grundlage damit nicht etwas dünn?
Holthaus: Nein, wir sprechen hier schließlich von bundesweit bis zu 600.000 Menschen, das ist keine Lappalie. Diese Menschen sind in einer schwierigen Situation, auch der Familien- und Freundeskreis ist dadurch betroffen. Und es entsteht daraus zum Teil auch Nachfolgekriminalität. Hinzu kommt, dass man noch einmal differenzieren muss. Die Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beziehen sich nur auf Deutsche. Nicht enthalten sind Menschen mit Migrationshintergrund ohne deutschen Pass. Hier haben wir aber gerade bei jungen Menschen häufig eine Spielsuchtproblematik. Dabei gibt es oft einen Zusammenhang mit Sportwetten. Auch haben bis zu 90 Prozent der ratsuchenden Menschen in den Beratungseinrichtungen regelmäßig exzessiv an Geldspielautomaten gespielt.
Henzgen: Jeder, der ein Problem mit Glücksspiel hat, ist einer zu viel. Ich plädiere aber für evidenzbasierte Argumentation. Allein die Definition von „problematischem Spiel“ ist schon problematisch. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben wir knapp 200.000 Menschen mit pathologischem Spielverhalten. Diese Zahl ist seit zehn Jahren sehr konstant, obwohl Sportwetten- und Onlinemarkt in dieser Zeit regelrecht explodiert sind. Das zeigt uns, dass die Menge des Angebots noch keine Sucht befördert. Und wenn in den vergangenen Jahren mehr Betroffene in Suchthilfeeinrichtungen gegangen sind, kann das auch an einem Bewusstseinswandel liegen. Das liegt auch an der intensiven Arbeit der Branche.
Rundblick: Der Glücksspielbereich hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Zahlen sind ja auch explodiert, weil viele hinzugekommen sind, die hier eigentlich gar kein Angebot unterbreiten dürften…
Henzgen: Der Staat hat die Maxime „weniger Glücksspiel ist besser“. Dadurch wird allerdings der legale Markt geschrumpft, während der Grau- und Schwarzmarkt überproportional wächst. Von 2014 bis 2016 ist dieser Bereich um 47 Prozent gestiegen, der legale Markt hingegen nur um acht Prozent. Die Glücksspielregulierung führt also dazu, dass über alle Spielformen hinweg legale Glücksspielanbieter zurückgedrängt werden – ein Konjunkturprogramm für die Illegalen.
Holthaus: Ich kann diese Kassandra-Rufe Ihrer Branche nicht nachvollziehen. Einer neuen ifo-Studie zufolge ist der Kasseninhalt, das ist so etwas ähnliches wie der Bruttospielumsatz, bei stationären Spielhallen, Spielen in der Gastronomie und Casino-Cafes von 2014 bis 2017 von 5,7 auf 7,1 Milliarden Euro gestiegen. Damit sind Sie mit Abstand der größte Player im Markt. Ich finde es richtig, Herr Henzgen, dass Ihre Branche die Meinung vertritt, dass der Staat an dieser Stelle weiter nach qualitativen Kriterien regulieren muss. Wenn der Betriebsratschef Ihres Unternehmens allerdings sagt „Unser Produkt ist nicht gefährlich“, dann habe ich eine andere Meinung: ist es eben doch. Ich halte Jugend- und Spielerschutz auch zukünftig für ein überragendes Gemeinwohlziel. Daher plädiere ich auch für die Teilnahme aller Akteure an der bundesweiten Sperrdatei.
Henzgen: Es gibt keine Sucht auf spezifische Glücksspieldienstleistungen. Es gibt ja auch keine Schnaps-, sondern nur eine Alkoholabhängigkeit. Menschen, die ein pathologisches Problem mit Glücksspiel haben, konsumieren alle Dienstleistungen, auch Lotto. Da haben alle legalen Anbieter in den vergangenen Jahren Schritte in die richtige Richtung gemacht. Das Problem ist allerdings, wofür sich viele Konsumenten inzwischen entscheiden. Sie stimmen mit den Füßen ab. Aktuell spielt sich ein Viertel des Marktes im Grau- und Schwarzmarkt ab. Die Konsumenten spielen mit dem Handy, weil sie damit auch ihre Sportschuhe kaufen und ihren Urlaub buchen, und sie merken gar nicht, dass sie gerade nicht legal spielen. Auch Cafe-Casinos sind ein Auswuchs des Regulierungswahnsinns.
Die Glücksspielregulierung führt also dazu, dass über alle Spielformen hinweg legale Glücksspielanbieter zurückgedrängt werden – ein Konjunkturprogramm für die Illegalen.
Daniel Henzgen
Holthaus: Glücksspiel hat nichts mit Sportschuhen zu tun. Es ist auch kein Produkt des täglichen Bedarfs. Viele Branchen, auch im Glücksspiel, erleben durch die Digitalisierung gerade eine Form der Disruption. Für mich sind die Gerichtsurteile und der Glücksspielstaatsvertrag aber ganz klare Leitplanken. Wir leben in einem Rechtsstaat. Es gibt klassische Vorgaben, die man einzuhalten hat. Online-Gambling und Online-Casinospiele sind in Deutschland schlichtweg verboten. Ich bin in diesem Bereich nicht für eine Lockerung. Wenn Sie das Glücksspielrecht hier lockern würden, gäbe es immer noch Unternehmen, von welchen Inseln auch immer, die illegale Angebote unterbreiten würden, weil sie zum Beispiel keine Steuern in Deutschland zahlen wollen.
Henzgen: Meiner Meinung nach wird es dem Staat mit den aktuellen Maßnahmen nicht gelingen, die Lage in den Griff zu bekommen. Das Beharren auf den aktuellen Maßnahmen und eine Steigerung der Restriktionen werden nur dazu führen, dass der Glücksspielmarkt irgendwann ohne die heute legal am Markt tätigen Anbieter stattfinden wird. Beim Glücksspielstaatsvertrag haben Schleswig Holstein, Hessen, NRW und Rheinland-Pfalz die ernsthafte Bereitschaft erklärt, die Richtung neu zu denken. Wenn am Ende einige Länder nicht Teil eines bundesweiten Staatsvertrags sind, wird das Absurde noch weitergeführt. Dann kann ich in Herne und Kiel einige Produkte legal konsumieren und in Hannover und Magdeburg nicht – und das in einem globalen Markt. Das ist alles ein großer Schildbürgerstreich. Wenn es so weiter geht, führt das in ein riesengroßes Desaster.
Rundblick: Derzeit muss man feststellen: Klagen und Prozesse gewinnen allein reicht offenbar nicht. Trotz allem wächst der Grau- und Schwarzmarkt weiter. Was kann man machen?
Holthaus: Wir haben in Niedersachsen eine exzellent aufgestellte Glücksspielaufsicht. Das führt dazu, dass alle Verfahren bisher gewonnen wurden. Vielleicht dauert das in Deutschland alles ein bisschen länger. Hinsichtlich einer Besteuerung gerade auch illegaler Angebote in Deutschland besteht zudem Handlungsbedarf. In Deutschland generierte Umsätze aus nicht erlaubten Kanälen unterliegen nun mal auch einer Besteuerung. Unsere Regulierung ist gut. Woran es hapert, ist der Vollzug, zum Beispiel schon die Zustellung von Urteilen und Untersagungsverfügungen in das Ausland. Insgesamt bleibe ich aber ganz ruhig, typisch norddeutsch eben. Es gibt in der Gesellschaft eine Renaissance der Werte wie Vertrauen und Seriosität und wir haben mit Lotto Niedersachsen seit über 60 Jahren eine starke Marke.
Unsere Regulierung ist gut. Woran es hapert, ist der Vollzug, zum Beispiel schon die Zustellung von Urteilen und Untersagungsverfügungen in das Ausland.
Axel Holthaus
Henzgen: Das stimmt, Sie haben eine starke Marke, aber sie wird heute schon von Anbietern aus dem Graubereich parasitär von innen aufgesogen. Schon heute haben Marken im Graubereich eine enorme Präsenz. Und einige sind heute schon „too big to fail“. Keiner wird zum Beispiel bundesweit hunderte von Sportwettenbüros großer Anbieter schließen. Das heißt, dass es über kurz oder lang ohnehin zu einer Legalisierung kommen wird. Die ersten, die sich für ein Lizenzverfahren aussprechen, werden die Finanzpolitiker sein. Danach kommen die Destinatäre von Lotto, die sich beschweren, wo ihr Geld für Denkmalpflege oder den sozialen Bereich bleibt. Für die Destinatäre ist die Klippe nah. Der aktuelle Trend kann nur durch eine neue politische Entscheidung zur Regulierung gebrochen werden. Bei einem Lizenzverfahren werden sich die großen Player für diesen legalen Weg entscheiden.
Rundblick: Aber warum fasst die Politik das Thema Glücksspiel seit Jahren mit spitzen Fingern an?
Henzgen: Es ist eben kein Gewinnerthema. Aber ich brauche politische Entscheidungsträger nun einmal nicht nur, um Umgehungsstraßen zu eröffnen. Die Beschäftigung mit dem Thema ist unterkomplex. Kürzlich sagte mir ein Bundestagsabgeordneter, er verstehe das mit dem illegalen Glücksspiel gar nicht, das sei doch „im deutschen Internet verboten“. Wenn ich das im Jahr 2018 auf dieser Ebene diskutiere, dann muss ich mich über die Diskrepanz zwischen der Realität auf Straße und Handy auf der einen und in den Landesparlamenten auf der anderen Seite nicht wundern.
Holthaus: Ich sehe beim Glücksspielstaatsvertrag keinen Änderungsbedarf. Es ist alles ausgeurteilt und man muss sich eben an die Regelungen halten, die es gibt. Der Souverän will keine Glücksspielrepublik. Ich appelliere an die Anbieter, sich an die Spielregeln zu halten. Wir zahlen zudem 40 Prozent Steuern und Abgaben vom Umsatz in Niedersachsen und leisten damit einen überragenden Beitrag für unser Gemeinwohl.
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