Der Fall Behrens und die Verachtung des Formalen
Darum geht es: Die Entlassung der Wirtschafts-Staatssekretärin Daniela Behrens offenbart ein problematisches Amtsverständnis in der rot-grünen Landesregierung, meint Klaus Wallbaum in seinem Kommentar.
Wirtschafts-Staatssekretärin Daniela Behrens ist nicht gestolpert, weil sie korrupt gewesen wäre. Es gibt derzeit niemanden, der ihr das unterstellt. Sie ist gestolpert, weil sie in dem von ihr geführten Wirtschaftsministerium eine verhängnisvolle Entscheidungskultur toleriert, womöglich sogar gefördert hat. Diese Kultur ist bei Rot-Grün in Niedersachsen an verschiedenen Stellen zu beobachten: Es zählt der vermeintlich gute Wille, das freundschaftliche Teamwork, man spricht sich gegenseitig mit „Du“ an – und verachtet all die herkömmlichen Regeln und Verfahrensvorschriften, ohne die eine öffentlichen Verwaltung nun einmal nicht funktionieren kann. Man schätzt allein die Tatkräftigen und Gutmeinenden, und man schiebt die Bedenkenträger zur Seite. Sie mögen ruhig sein, sonst kommen sie in den Verdacht, den gemeinsamen Erfolg nicht zu wollen.
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Genauso ist es in mindestens zwei Vergabeverfahren geschehen, in denen der Pressesprecher, ein hemdsärmliger, zupackender und an guten Ergebnissen interessierter Mensch, ziemlich freie Hand hatte. Die Stelle für Vergaberecht im Ministerium wurde entweder nicht beteiligt oder aber, wenn sie davon erfuhr, in ihren Hinweisen und Einwänden nicht ernst genommen. Besonders tragisch ist der Vorgang, der Daniela Behrens dann nach knapp einer Woche zum Verhängnis wurde: Ein Auswahlgremium, das die Vergabe für die Relaunch einer Website prüfen sollte, kam mit der Staatssekretärin zusammen – und die Teilnehmer sollen ihre Zustimmung zur Präsentation der Firma Neoskop so gedeutet haben, dass es eine Anweisung zur Auftragsvergabe war. Behrens meint, nie irgendeine Anweisung, die eine verbotene Einflussnahme gewesen wäre, gegeben zu haben. Aber sie schließt inzwischen nicht mehr aus, vielleicht so verstanden worden zu sein. Das ist die Tragik dieser Geschichte: Der kumpelhafte Umgangston im Wirtschaftsministerium hatte sich schon so verselbständigt, dass für die Mitarbeiter gar nicht mehr erkennbar war, wann etwas eine behördliche Anweisung oder nur ein unverbindlicher Diskussionsbeitrag der Staatssekretärin war. Weil klare Hierarchien fehlten, ging auch die Führung verloren.
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Heute kann man Behrens‘ Verhalten persönlich entschuldigen. Sie hat es ja immerhin gut gemeint. Für die rot-grüne Landesregierung ist das aber alles andere als beruhigend. Wieso sollte das, was im Wirtschaftsministerium geschehen ist, nicht auch in anderen Behörden passiert sein? Um es klar zu sagen: Minister und Staatssekretäre, die Dinge durchsetzen und Formalien missachten wollen, gibt es nicht nur in dieser Landesregierung. Es hat sie auch früher bei CDU und FDP gegeben. Nur: Der joviale Umgangston, die Missachtung von Formalien, die Nicht-Einhaltung überlieferter Regeln ist bei Rot-Grün weitaus ausgeprägter. Ein Beispiel lieferte erst vorgestern in einer Landtagsdebatte zum Transparenzgesetz der SPD-Nachwuchspolitiker Maximilian Schmidt. Er sagte: „Das altbackene Prinzip des Amtsgeheimnisses, das über allem thront, gehört wahrlich auf den Müllhaufen der Geschichte.“ Der Satz ist verräterisch, denn hergebrachte Grundsätze wie das Amtsgeheimnis abschaffen zu wollen, deutet auf den Plan einer Kulturrevolution in der Verwaltung. Solche Überlegungen sind höchstriskant – sind es doch die oft als stumpf und bürokratisch empfundenen Regeln und Gebräuche, die Behördenleiter davor schützen sollen, das Geld der Steuerzahler willkürlich auszugeben – und sei es auch an besonders innovative, pfiffige oder kreative Empfänger, wie man bei diesen beiden umstrittenen Vergabeverfahren im Wirtschaftsministerium durchaus unterstellen kann.
Wie geht es nun weiter? Wirtschaftsminister Olaf Lies wirkt nicht wie jemand, der bei der Aufklärung der Vorgänge in seinem Haus mauern wird. Er verspricht Offenheit und Transparenz, das klingt glaubwürdig. Aber gilt das auch für die gesamte Landesregierung, für alle Ministerien und Behörden? In der Staatskanzlei sitzen Leute, die den Wert des strikten Regelwerkes kennen und schätzen, Ministerpräsident Stephan Weil und Staatskanzleichef Jörg Mielke an der Spitze. Aber können sie die Hand für die gesamte Landesregierung ins Feuer legen? Der im Wirtschaftsministerium vorherrschende Geist ist auch woanders spürbar, und die Opposition von CDU und FDP legt längst den Fokus auf die Auftrags- und Gutachtenvergaben der rot-grünen Landesregierung. So kompliziert, wie das Vergaberecht nun einmal ist, so wahrscheinlich wird sein, dass weitere Ungereimtheiten bekannt werden.
Für Ministerpräsident Weil sind das nun alles andere als erfreuliche Nachrichten. Acht Monate vor der Landtagwahl wird seine Regierung mit einem Problem konfrontiert, dessen Ausmaß und Gewicht für die politische Debatte derzeit nicht abgeschätzt werden kann. Und es ist durchaus nicht sicher, dass Daniela Behrens das einzige politische Opfer bleibt.