Darum geht es: Nach der Einigung zwischen VW und den US-Behörden diskutiert die Politik in Niedersachsen über eine Mitverantwortung des Aufsichtsrats bei Volkswagen. Ein Kommentar von Martin Brüning:

#dieselgate: "So manchen Mitarbeiter muss eben doch das Gewissen geplagt haben" - Foto: Jakob Brüning

#dieselgate: „So manchen Mitarbeiter muss eben doch das Gewissen geplagt haben“ – Foto: Jakob Brüning

Für Industriekritiker und diejenigen, deren Meinung nach man Unternehmen ohnehin lieber weniger denn mehr trauen sollte, ist das „Statement of facts“ des US-Justizministeriums ein gefundenes Fressen. Auf 30 Seiten wird erläutert, wie Volkswagen die US-Behörden und die Autokäufer über Jahre nach Strich und Faden belogen hat. Interessant ist dabei nicht allein das jahrelange Verschweigen der illegalen Abgassoftware, sondern auch das Vorgehen nach dem Auffliegen des ganzen Schwindels. Rund 40 Mitarbeiter hätten tausende Unterlagen vernichtet, heißt es in dem Papier. Ein VW-Anwalt  informierte ab Herbst 2015 immer wieder zahlreiche Mitarbeiter des Konzerns über das Vorgehen der US-Behörden. Dies „veranlasste“ immer wieder Mitarbeiter, belastende Unterlagen zu vernichten. Der Abgasbetrug, der im August 2015 aufflog, setzte sich im Anschluss mit einer Vertuschung fort – kein Wunder, dass Volkswagen bei der US-Justiz keinen leichten Stand hatte, die gleich einen doppelten Betrug konstatieren musste.

Einige Informationen gilt es dennoch einzuordnen. So gibt es im „Statement of facts“ Hinweise darauf, dass die Unternehmenskultur bei Volkswagen nicht unbedingt in allen Etagen zu wünschen übrig lässt. Mehrmals äußerten VW-Ingenieure Bedenken gegen den Einsatz der illegalen Software, so zum Beispiel im Jahr 2006. Auch im Jahr 2007 soll es in einem Team, das inhaltlich für die Abgasnormen in den USA verantwortlich war, dem Papier zufolge Meinungsverschiedenheiten gegeben haben, von einer „kontroversen Besprechung“ ist die Rede. So manchen Mitarbeiter muss eben doch das Gewissen geplagt haben.

Auch Vorwürfe gegen Vorstand und Aufsichtsrat lassen sich zumindest nach Durchsicht dieses Dokuments weiterhin nicht belegen. Richtig ist: Ab dem Herbst 2015 wurde in großem Umfang und teilweise auch auf Anweisung von Führungskräften versucht, Beweismittel zu vernichten. Andererseits war VW in einer internen Ermittlung eben auch in der Lage, eine große Zahl der vernichteten Daten wieder herzustellen. Ob Vorstand und/oder Aufsichtsrat hier versucht haben, in irgendeiner Form Einfluss zu nehmen, geht aus dem Dokument nicht hervor.

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Unabhängig von Schuld oder Unschuld ist die Diskussion über Bonuszahlungen zu sehen. Nach wie vor haben die VW-Vorstandsmanager des Skandaljahres 2015 gute Chancen auf eine kräftige Nachzahlung im Jahr 2019. Denn aufgrund der Boni-Debatte war rund ein Drittel der Bonus-Zahlungen von 2015 verschoben und an bestimmte Bedingungen wie zum Beispiel den Aktienkurs geknüpft worden. Die Chancen, dass die knapp sechs Millionen doch noch ausgezahlt werden, stehen nicht allzu schlecht. Im Bonusstreit hatte auch SPD-Ministerpräsident Stephan Weil alles andere als eine glückliche Figur gemacht.

https://soundcloud.com/user-385595761/vw-deal-hat-auch-auswirkungen-auf-die-politik-in-niedersachsen

Wer in Politik und Wirtschaft nur am Rednerpult den „ehrbaren Kaufmann“ im Munde führt und dann in aller Ruhe dabei zusieht, wie sich die Vorstandsmitglieder des Betrugsjahres 2015 vier Jahre später nachträglich noch die Taschen vollstopfen, verspielt seine Glaubwürdigkeit. Dabei geht es auch überhaupt nicht um einen Vergleich zu den VW-Mitarbeitern, sondern um das eigene moralische Empfinden und Verantwortungsgefühl jedes einzelnen Vorstandsmitglieds und die Art und Weise, wie der Konzern in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden möchte. Vielleicht setzt Volkswagen auf das Vergessen, wenn das Geld im Jahr 2019 ausgezahlt wird. Zumindest die Mitarbeiter dürften sich dann moralisch betrogen fühlen – es wäre der dritte Fall von Betrug in Wolfsburg.

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