Der Apparat soll es richten
Darum geht es: Der Sozialausschuss hat über die geplante Pflegekammer beraten. Die Landtagsjuristen sind von der Verfassungsmäßigkeit der Kammer nicht vollständig überzeugt. Ein Kommentar von Martin Brüning:
Die Qualität in der Pflege stärken – dieses Mantra der Politik ist ebenso richtig wie profan. Natürlich ist die Zukunft der Pflege in einem Land, in dem der Begriff „alternde Gesellschaft“ zum politischen Alltagsjargon gehört, eines der zentralen Themen der kommenden Jahrzehnte. Wie gewinnen wir genügend Fachkräfte? Wie können wir diese Fachkräfte auskömmlich bezahlen? Und wie lässt sich ihr Arbeitsalltag so gestalten, dass der Beruf für möglichst viele attraktiv wird? Darauf mag es viele Antworten geben. Eine der Antworten lautet aber bestimmt nicht: die Einrichtung einer Pflegekammer.
Vielleicht ist die geplante Kammer verfassungsgemäß, vielleicht auch nicht. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages konnte diese Frage nicht abschließend beantworten. Das ist aber genauso wenig entscheidend wie die Fragwürdigkeit, eine Selbstverwaltung für abhängig Beschäftigte einzuführen. Am Ende geht es vielmehr um die Frage, ob ein Mehr an Bürokratie, das durch neue Gremien geschaffen wird, zu einer besseren Pflege führt. Was die neuen Regionalbeauftragten für die regionale Förderung sind, ist die Pflegekammer für den Sozialbereich: eine bürokratische Lösung ohne nennenswerten Effekt.
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Die neue Kammer wird Millionen kosten. Dutzende Angestellte werden sich mit Dingen beschäftigen, mit denen sich eine Kammer eben tagtäglich beschäftigt. Glaubt wirklich jemand, dass durch eine neue berufsständische Körperschaft ein Pfleger mehr Geld verdient, eine Seniorin besser gepflegt wird oder ein Schulabgänger mehr sich für den Pflegeberuf entscheidet? Während wir über die Gehälter von Pflegekräften diskutieren, soll die neue Kammer bei genau diesen Pflegekräften erst einmal fast 100 Euro Zwangsbeitrag pro Jahr einkassieren. Die Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeiter verpflichtend melden, damit diese auch ihren Kammerbeitrag bezahlen, forderte der SPD-Sozialexperte Uwe Schwarz gestern. Warum eigentlich? Wenn die Kammer von den Pflegekräften so heiß ersehnt wird, dann müssten diese sich doch eigentlich gar nicht schnell genug anmelden können, um acht Euro im Monat in ihre berufliche Zukunft zu investieren.
Es wäre unredlich, SPD und Grünen keinen guten Willen zu unterstellen. Es ist ein sinnvolles und ehrenwertes Anliegen, sich der Zukunft der Pflege zu widmen. Und man kann durchaus darüber diskutieren, ob Pflegekräfte nicht eine stärkere Stimme bekommen sollten, wobei sich die Gewerkschaften dabei allerdings fragen müssen, warum sie bei Rot-Grün in Niedersachsen nicht als starke Stimme der Pflegekräfte wahrgenommen werden. Doch die Pläne der Landesregierung wirken ein wenig aus der Zeit gefallen. Der Apparat soll es richten, lautet das veraltete Dogma der Bürokratiegläubigen.
Wie weit weg die Politik vom Pflegealltag ist, wurde gestern im Sozialausschuss nur am Rande deutlich. Dabei ging es um eine paritätische Besetzung der Gremien mit Frauen und Männern. In einem Beruf, in dem deutlich über 80 Prozent der Beschäftigten Frauen sind, dürfte die Frauen-Quote in den Kammer-Gremien das geringste Problem sein.
Viele Pflegefachkräfte erkennen, „dass die geplante neue Institution die aktuellen Probleme wie Fachkräftemangel, Arbeitsbelastung und unzureichende Vergütung nicht lösen können wird.“ Das Zitat werden wir in Landtagsdebatten bestimmt noch einmal hören. Es stammt von einer Frau, die es wissen muss: Jasmin Arbabian-Vogel ist Geschäftsführerin eines Pflegedienstes in Hannover. Und SPD-Mitglied.