„Den Grünen gelingt es, sich von ihrer eigenen Regierungsarbeit abzukoppeln“
Konstantin Kuhle (29), Bundestagsabgeordneter der FDP aus Süd-Niedersachsen, versucht als Generalsekretär der Niedersachsen-FDP seiner Partei ein neues Profil zu geben. Er äußert sich dazu im Interview mit der Redaktion des Politikjournals Rundblick.
Rundblick: Herr Kuhle, bundesweit macht die FDP derzeit wenig von sich reden – und in den Umfragen legt sie auch nicht zu. Woran liegt das?
Kuhle: Ich bin jetzt seit einem Jahr Mitglied der Bundestagsfraktion. Meine Beobachtung ist, dass die FDP es schon vermocht hat, mit einigen klaren Positionen – etwa zur Mietpreisbremse oder zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags – die Politik spannender zu gestalten. Nur fällt es meiner Partei mitunter schwer, die Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das liegt an der Dominanz des Themas Einwanderung und daran, dass wir hier zwei politische Kräfte mit Eckpositionen haben. Auf der einen Seite die AfD, die dezidiert gegen Zuwanderung eintritt und auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellt. Sie jagt Journalisten Angst ein, über Demonstrationen zu berichten, weil ihnen dort dann Prügel drohen. Auf der anderen Seite stehen die Grünen, die sich eindeutig zu Migration und Asyl bekennen – und in der öffentlichen Wahrnehmung die entgegengesetzte Eckposition einnehmen.
Rundblick: Ist das glaubwürdig?
Kuhle: Eben nicht. Den Grünen gelingt es, sich von ihrer eigenen Regierungsarbeit in den Ländern, in denen sie Verantwortung tragen, völlig abzukoppeln. Zum Beispiel beim Thema Abschiebung. Da setzt sich die bayerische Spitzenkandidatin der Grünen in eine Talkshow und sagt, mit ihr werde es keine Abschiebungen geben. Gleichzeitig vollzieht ihr Parteifreund, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, munter solche Abschiebungen – und die Grünen in Hessen und Thüringen tun es auch.
Rundblick: Trotzdem schadet es den Grünen erkennbar nicht. Aber die FDP kommt kaum vor in solchen Diskussionen. Was macht sie falsch?
Kuhle: Wir haben das Dilemma, eine Mittelposition zu vertreten. Wir halten die auf festen Regeln basierende Migration für nötig – ebenso wie die schnellere Abschiebung in Fällen, wo die Betroffenen gehen müssen. Damit das klappt, müssen Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Kretschmann will das auch, kann sich bei seinen Grünen damit aber nicht durchsetzen. Die FDP meint, dass diese Dinge nicht auf die lange Bank geschoben werden dürfen. Und bei der Migration dürfen wir auch nicht länger warten. Weil die Große Koalition sich nicht einig ist, tut sich nichts beim Spurwechsel. Deshalb haben wir die absurde Situation, dass ein Gefährder nicht abgeschoben werden kann, wohl aber ein junger Mann, den ein Handwerksmeister gerade als hoffnungsvollen Lehrling eingestellt hat. Die FDP ist die einzige Partei, die hier für rasche und überzeugende Lösungen eintritt.
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Rundblick: Liegt die fehlende Wahrnehmung auch daran, dass die Gesellschaft inzwischen viel zu stark polarisiert ist – und die FDP in dieser Situation keinen richtigen Platz findet?
Kuhle: Ja, viele Menschen machen sich zu Recht Sorgen um den Fortbestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wir erleben, dass Rechtspopulisten andere niederbrüllen, dass Andersdenkende in Schulbaden gesteckt werden – und dass viele Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden beginnen, am Mainstream im Parlament zu zweifeln. Wir müssen uns mit den praktischen Erfahrungen der Polizisten auseinandersetzen – und wir müssen ihnen entgegenkommen. Zusätzliche Polizistenstellen lösen das Problem nur bedingt, es geht um eine flexiblere Laufbahnregeln, eine angemessene Ausstattung und leistungsgerechte Bezahlung. Wer dafür sorgt, dass unser Rechtsstaat erhalten bleibt, sollte respektiert werden – und ihm sollte besser zugehört werden.
Rundblick: Worauf sollten wir denn besser hören?
Kuhle: Auf das Argument beispielsweise, dass heute in Deutschland, auch in Niedersachsen, an einer Abschiebung viel zu viele Behörden beteiligt sind. Das zieht die Sache in die Länge und sorgt für Frustration bei den Ordnungskräften. Hier sollten wir etwas ändern.
Rundblick: Mal abgesehen von der Innenpolitik: Welches Profil sollte die FDP Ihrer Meinung nach schärfen?
Kuhle: Die FDP tritt für Strukturreformen ein, die unser Land voranbringen. Etwa bei der Digitalisierung: Wenn es denn gelingt, den Breitbandausbau zu verbessern, muss es dringend um die nächsten Fragen gehen: Wie verändert sich die Arbeitswelt? Die SPD konzentriert sich hier sehr stark auf die großen Unternehmen. Aber auch auf dem Land gibt es viele Kleinbetriebe, Handwerker und Selbstständige, die ihre Arbeitsabläufe total umkrempeln müssen und unsere Hilfe brauchen. Dann geht es um ein Steuersystem, das Abschreibungsmöglichkeiten für digitale Investitionen verbessert, oder es geht um Veränderungen beim Arbeitsrecht. Wenn Unternehmen Berater brauchen, die nur deshalb als gute Berater am Markt sind, weil sie sich mehrere Monate im Jahr fortbilden müssen, dann bringt es nichts, wenn sie für zwölf Monate im Jahr in eine Sozialversicherungssystem gepresst werden. Hier müssen wir ansetzen.
Rundblick: Nennen Sie mal ein paar Projekte, die Sie als Generalsekretär in Niedersachsen anpacken…
Kuhle: Gut möglich ist, dass die Kommunalwahl 2021 mit der Bundestagswahl zusammenfällt. In einigen Themen wie Wirtschaft und Digitalisierung haben wir schon eine besondere Stellung, und ich würde mir wünschen, es wäre auch in der Bildungspolitik so. Vor allem mit der SPD müssen wir diskutieren, wie es um die sozialen Brennpunkte in Niedersachsen steht – also Städte, in denen die Arbeitslosigkeit, die Kinderarmut, der Migrantenanteil und auch die Kriminalität sehr hoch sind. Merkwürdigerweise sind das häufig Städte, in denen auch die Sozialdemokraten stark sind. Aber sie haben eben bisher keine starken Antworten auf die Probleme gefunden. Wie wäre es, wenn man gerade hier maßgeschneiderte Bildungsangebote macht – und Aufstiegschancen ermöglicht? Das wäre eine schöne FDP-Story, übrigens auch für die Landtagswahl 2022.