Debatte um Maaßen: Deutschland ist außer Rand und Band
Darum geht es: Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen wird entlassen und gleichzeitig befördert. Er soll Staatssekretär im Bundesinnenministerium werden. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagte in Hannover, er teile den Ärger vieler Menschen. Für ihn ist das Verhalten von Bundesinnenminister Horst Seehofer „für den Gesamterfolg der Bundesregierung höchst abträglich“. Die Autorität der Kanzlerin habe ein weiteres Mal Schaden genommen. Ein Kommentar von Martin Brüning.
Der Fall Maaßen zeigt überdeutlich, woran es in diesem Land derzeit hapert. Und das hat im Kern nur am Rande mit dem Stein des Anstoßes, dem Interview des Verfassungsschutzchefs in der „Bild“-Zeitung, zu tun. Die nachfolgende Debatte offenbarte einmal mehr ein Klima der Empörung, in dem es in großen Teilen nicht nur an Maß und Mitte fehlte, sondern das vielfach auch noch unwahrhaftig war. Am Ende gibt es in dem Spiel nur Verlierer. Einer von ihnen ist, da hilft auch der Posten des Staatssekretärs nichts, Hans-Georg Maaßen selbst. Das „Bild“-Interview war nicht nur unklug, sondern auch eines Verfassungsschutzchefs unwürdig. Es war aber nur der letzte in einer Kette von Fehlern.
Schon bei den Ermittlungen gegen Journalisten im Jahr 2015, bei seiner fragwürdigen Aussage zu V-Leuten im Umfeld des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri sowie in der Debatte über seine Kontakte zur AfD machte Maaßen alles andere als eine glückliche Figur. Gut möglich, dass der Posten des Staatssekretärs für Maaßen, der trotz allem als kenntnisreicher und hervorragender Beamter gilt, nur ein kurzer Übergang zum vorzeitigen Ruhestand ist. Dass man mit dieser Vergangenheit im politischen Berlin noch über mehrere Jahre an führender Position im Bundesinnenministerium arbeitet, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Erst recht, wenn der zuständige Minister alles andere als fest im Sattel sitzt.
Die SPD ruft jetzt „Haltet den Dieb“, nachdem sie ihm selbst die Tür aufgehalten hat.
Ebenso in Frage zu stellen wie Maaßens Vorgehen sind aber zahlreiche wütende Debattenbeiträge der vergangenen Tage. „Maaßen verbreitet Verschwörungstheorien, schützt Nazis und lügt das Parlament an“, schrieb Ricarda Lang, Bundessprecherin der Grünen Jugend, auf Facebook. Selbst SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fing wie ein Wutbürger auf Twitter an, im Fall Maaßen in manchen Sätzen Wörter IN GROßBUCHSTABEN zu schreiben. Der oberste Verfassungsschützer dürfe in Deutschland nicht als Nazi-Sympathisant wahrgenommen werden, schrieb Lauterbach.
Ein Problem mit einem zu engen Bezug zum Nationalsozialismus hatte in der Diskussion allerdings ausgerechnet eine Satiresendung des ZDF, die den Verfassungsschutzchef als „Schädling“ bezeichnete. Der Sender sah sich nach scharfer Kritik genötigt, für den sprachlichen Fehlgriff aus der Nazizeit um Entschuldigung zu bitten. Deutschland ist außer Rand und Band. Wer das Land inzwischen an den Rande des politischen Nervenzusammenbruchs führt, ist nicht mehr so recht auszumachen.
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Der kleinstmögliche Nenner, den die Große Koalition im Fall um Hans-Georg Maaßen nun gefunden hat, bringt bei vielen das Fass nun endgültig zum Überlaufen. Jetzt gehen wirklich alle beschädigt aus der Sache heraus. Die Kanzlerin, weil sie ein weiteres Mal Schwäche zeigt. Die Union, weil sie das Spiel ein weiteres Mal mitspielt. Der Innenminister, weil sein Vorgehen ein weiteres Mal allein von der anstehenden bayerischen Landtagswahl bestimmt wird. Aber auch die SPD, auch wenn sie gerade krampfhaft versucht, das eigene Bild in der Öffentlichkeit noch einmal zurechtzurücken. Das ist schon allein deshalb peinlich, weil sie an dem durchaus fragwürdigen Kompromiss mitgewerkelt hat. Da hilft es auch nichts, ihn danach öffentlich niederzumachen und das Problem anderen in die Schuhe zu schieben. Die SPD ruft jetzt „Haltet den Dieb“, nachdem sie ihm selbst die Tür aufgehalten hat.
Dass Niedersachsens SPD-Landesvorsitzender Stephan Weil nun versucht, seine Partei zu schützen und das ganze Schlamassel der Union und vor allem dem ungeliebten Horst Seehofer in die Schuhe zu schieben, mag verständlich sein. Er tut dem Ansehen der SPD damit aber keinen Gefallen. Die kritisierte Lösung wäre ohne die Bundesvorsitzende seiner eigenen Partei nicht möglich gewesen. Mit ihren Schuldzuweisungen gibt die SPD fast noch ein kläglicheres Bild ab als die still schweigende und leidende Union. Man kann nun einmal nicht gleichzeitig regieren und opponieren. Weder die Union noch die SPD sind derzeit in der Lage, als politischer Ruhepol in einem aufgeregten Land zu dienen.