…stammt vom Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Landtag, Stefan Birkner. Er hat es just zu Beginn dieser Woche ausgesprochen – zu einer Zeit, als sich über dem Kopf von Sozialministerin Carola Reimann neuer Ärger zusammenbraute. Das Zitat der Woche lautet:

„Aus meiner Sicht war Frau Reimann von Anfang an nicht in der Lage, das Sozialministerium zu führen, und sollte zurücktreten. Die Sozialpolitik ist ein so wichtiges Feld für Niedersachsen, dass wir uns eine so schwache Führung hier nicht leisten können und zu einem personellen Neuanfang kommen sollten.“

Zum Wochenende hin sieht es nun so aus, als wäre die Eskalation des Konflikts ausgeblieben – oder sie ist vertagt. Denn das Grundproblem bleibt: Die Konstruktion der Pflegekammer ist seit Jahren ein Zankapfel. Rot-Grün hat die Idee einst entworfen, umgesetzt wurde sie dann in der Großen Koalition – und Reimann, die erst 2017 als neue Sozialministerin von der Bundes- in die Landespolitik wechselte, zeichnete dafür verantwortlich. Und das, obwohl die Ministerin, die zur Zeit der Geburt dieser Kammer noch Bundestagsabgeordnete in Berlin war, wahrlich nicht zu den „Müttern“ dieser Kammer gezählt werden kann.

Foto: MB.

Begonnen hatte es noch unter der alten Leitung der Kammer mit merkwürdigen Beitragsbescheiden, die teilweise unangemessen hoch waren, den Zorn von Betroffenen erregten und am Ende das Vertrauen in die Kammerführung so nachhaltig beschädigten, dass es schließlich zum Wechsel der Leitung der Kammer kommen musste. Dann versuchte die Koalition Ende vergangenen Jahres, den Anfangsfehler beim Start der Kammer, die mangelnde Finanzausstattung, nachträglich zu heilen. SPD und CDU wollten als Gegenleistung die Zusicherung der Kammer, für die nächste Zeit keine Beiträge von den Mitgliedern zu erheben. Die dauerhafte Finanzierung durch das Land wurde gleichwohl nicht gesetzlich verankert – wohlwissend, denn welche Unabhängigkeit besitzt eine Kammer, wenn sie von vornherein auf Dauer staatlich finanziert ist?

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Dieser Konflikt war im Dezember 2019 angelegt mit der Vereinbarung der Koalition, der Kammer einen Finanzzuschuss zu geben. Ausgetragen wurde die Debatte seinerzeit nicht. Jetzt flammt sie wieder auf, und zwar bei der Kammer selbst, die sich in einer merkwürdigen Zwangslage empfindet: Hier der Druck der Landespolitik, endlich an der Front der Pflegekräfte Frieden zu erzeugen und Betroffenen keine hohen finanziellen Lasten aufzubürden. Dort der Druck von engagierten Befürwortern der Kammer, die in keine Abhängigkeit zur Politik geraten wollen, weil sie fürchten, dann gegenüber dem Landtag nur noch als Bittsteller und nicht mehr als vollwertiger Interessenverband auftreten zu können. Und schließlich noch der Druck von Interessensverbänden wie Verdi, die diese Kammer von Anfang an ausgesprochen skeptisch beurteilt hatten – denn eine Gewerkschaft, die unter Mitgliederschwund leidet, kann kein Interesse an einer starken und funktionsfähigen Kammer als Interessenvertreter der Pflegekräfte haben. Mit anderen Worten: Die Pflegekammer ist kein Gewinnerthema, schon gar nicht für die Fachministerin, die den Fachbereich zu verantworten hat. Sie ist ein ungeliebtes Konstrukt, an dem sich scheinbar immer mehr Gruppen kräftig reiben.


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Erschwerend kommt hinzu: Immer dann, wenn in den vergangenen Jahren der Krach um die Pflegekammer laut wurde, leistete die Fachebene des Sozialministeriums keinen Beitrag zur Beruhigung oder Entspannung der Lage. Eher trugen die Kontakte zwischen der Aufsichtsbehörde im Ministerium und der Kammer zu einer weiteren Eskalation bei. Eine kluge Krisenbewältigung wollte nicht gelingen. Immerhin: In dieser Woche trat die Ministerin selbst bei einer Demonstration auf, und sie wirkte weit souveräner als bei früheren Anlässen dieser Art. Mag sein, dass Birkners Rücktrittsforderung für sie Ansporn war, stärker offensiv aufzutreten.

Die Kommunen klagen, sie hätten zu wenig Zeit

Dies, die Pflegekammer, ist die eine große Baustelle von Carola Reimann. Die andere betrifft das Corona-Krisenmanagement, das sich nun, nach gut drei Monaten Ausnahmezustand in Niedersachsen, mit ein wenig mehr Distanz beurteilen lässt. Von Anfang an war Reimann als Gesundheitsministerin diejenige, die erste Ansprechpartnerin der Krise war. Die ersten Verordnungen wurden von den Fachleuten im Sozialministerium ausgearbeitet und unterschrieben. Reimanns Staatssekretär Heiger Scholz wurde der Leiter des Krisenstabes, Reimanns Gesundheitsabteilungsleiterin Claudia Schröder wurde die Nummer zwei im Krisenstab. Die Kritik, die geäußert wurde, häuft sich an. Die Kommunen klagen, sie hätten zu wenig Zeit für Einflussnahmen auf die Verordnungen nehmen können. Die Kassen merken vorsichtig an, die Schließung der Kliniken in den ersten Wochen sei zu rigoros geschehen. Lehrer- und Elternverbände klagen, es habe bei den Schul- und Kindergartenschließungen und bei der Notbetreuung Unwuchten gegeben, außerdem jede Menge Kommunikationspannen. Tatsache ist, dass nach den ersten Wochen die heimliche Federführung für die Verordnungen, die bis heute als zu kompliziert, zu widersprüchlich und zu intransparent wahrgenommen werden, vom Sozialministerium auf die Staatskanzlei übergegangen war. Nach außen vertreten musste diese Politik in den zurückliegenden Wochen aber vor allem eine Person – Claudia Schröder, die Gesundheits-Abteilungsleiterin von Ministerin Reimann. FDP-Chef Stefan Birkner geht in seiner Kritik an Reimann so weit, dass er ihr vorwirft, über weite Strecken in der Corona-Krise selbst nicht sichtbar geworden zu sein, sondern ihre Abteilungsleiterin Schröder an die Front geschickt zu haben. So habe sich der Eindruck verstärkt, die Administration, der Beamtenapparat, habe in der Krise die Regie übernommen – obwohl die Ministerin gefordert gewesen sei.

Fehler werden immer dem Sozialministerium zugerechnet

Das mag wohl ungerecht sein, da in Wahrheit längst nicht mehr Reimann diejenige ist, die hinter den Kulissen die Krisenbewältigung steuert, sondern andere Akteure: Ministerpräsident Stephan Weil für die generelle Linie der Verordnungen, gerade mit Blick auf die Verbote und Gebote in den Verordnungen, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann für die Wirtschaftshilfen und Kultusminister Grant Hendrik Tonne für die Situation in den Schulen und Kindergärten. Das Problem für Reimann ist nur: Weil nach wie vor ihre Abteilungsleiterin Schröder das Gesicht des Krisenstabes ist, immerhin ist sie die Vize-Leiterin, wird die Hauptverantwortung für jeden Fehler im Sozialministerium abgeladen. Auch, wenn das in einigen Fragen ungerecht ist.

Ob das alles am Ende dazu führt, dass Reimann gehen muss? Sie steht für lediglich zwei sozialdemokratische Frauen in der Landesregierung, außerdem steht sie für den selbstbewussten SPD-Bezirk Braunschweig. Würde sie gehen müssen, wäre das zunächst eine erhebliche Schwächung der Frauen und der Braunschweiger in der Landespolitik – ein Schritt, den sich die Partei schlecht leisten kann. Es sei denn, es gäbe eine andere Frau aus der Region Braunschweig/Wolfsburg/Salzgitter, die aus dem Stand neue Sozialministerin werden und als solche starke Autorität mitbringen könnte. Aber so jemand ist weit und breit nicht in Sicht.