Das Zitat der Woche…
…steht auf Seite 25 des Jahresberichts, den der Landesrechnungshof in dieser Woche vorgestellt hat. Es lautet:
„Die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, ist an den Zweck der Bewältigung der Auswirkungen der Pandemie gebunden und ist in dem Umfang beschränkt, der für diesen Zweck notwendig ist. Das Land muss im Sinne der Schuldenbremse alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um eine Kreditaufnahme zu begrenzen.“
Das ist nun ungewöhnlich, denn normalerweise liefert der Rechnungshof, eine unabhängige Prüfbehörde des Landes mit Kontroll- und Akteneinsichtsrechten, nur rückwärtige Betrachtungen zu zurückliegenden Jahren. Dieses Zitat aber, ausgesprochen von der Präsidentin Sandra von Klaeden, ist nach vorn gerichtet – es kommt mitten in den regierungsinternen Vorbereitungen für den zweiten Nachtragshaushaltsplan, dessen Entwurf Ende Juni im Landtag vorgestellt werden soll.
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Warum prescht der Landesrechnungshof hier vor? Vermutlich, weil er eine große Gefahr sieht – nämlich die, dass das Land Niedersachsen bei den nun notwendigen Schritten der Notlagen-Bekämpfung und der Belebung der Wirtschaft bei den aufzunehmenden Krediten maßlos werden könnte. Die Gefahr besteht nämlich, dass nun alle möglichen Wünsche nach neuen Ausgaben, höheren Vergütungen für Landesbedienstete und Investitionen in der Infrastruktur, einfach erfüllt werden – mit einem ganz, ganz tiefen Griff in die Kreditaufnahme.
Laut Landesverfassung wäre ein solcher Schritt sogar erlaubt, denn dort ist zwar die Schuldenbremse festgeschrieben, die den Bundesländern ausgerechnet beginnend mit diesem Jahr 2020 ein striktes Verbot der Nettokreditaufnahme vorschreibt. Welch Ironie der Geschichte: In den zurückliegenden fetten Jahren mit kräftigen Steuermehreinnahmen war das Schuldenmachen den Ländern noch erlaubt, von 2020 an, mit Beginn der tiefen Rezession, gilt das nun nicht mehr – weil Bundestag und Bundesrat das vor Jahren so ins Grundgesetz geschrieben haben. Trotz der Schuldenbremse sieht der neue Artikel 71 der Landesverfassung, der erst im vergangenen Jahr vom Landtag beschlossen worden war, zwei Ausnahmebestimmungen vor. Zum einen sind neue Kredite erlaubt bei Naturkatastrophen, und immer dann, wenn die Summe von 0,5 Prozent des Haushaltsvolumens überschritten wird, muss dafür eine Zweidrittelmehrheit im Landtag zustimmen. Zum anderen ist eine Verschuldung auch dann zulässig, wenn es „eine von der Normallage abweichende konjunkturelle Entwicklung“ gibt. Das ist derzeit zweifellos der Fall, denn mit der Corona-Krise wurde Deutschland und damit auch Niedersachsen eine kräftige Wirtschaftskrise beschert.
Wie aber ist nun dieser Artikel 71 zu interpretieren? Der Landesrechnungshof sieht es so: Grundsätzlich gilt für die Länder ein Verschuldungsverbot, das ist auch einzuhalten. Aber wenn es eine Konjunkturkrise gibt und noch dazu eine Naturkatastrophe (also solche kann die Corona-Pandemie wohl gelten), dann können ausnahmsweise auch neue Kredite aufgenommen werden. Dadurch, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelt, drängt sich aus Sicht der Rechnungsprüfer auch eine wichtige Bedingung auf: Zuvor, also vor dem Beschluss über neue Schulden, müssen die vorhandenen Ausgaben des Staates zunächst auf ihre Sinnhaftigkeit hin überprüft werden. Es muss also zuvor geklärt werden, ob sich Niedersachsen in dieser Lage sämtliche bisherigen Ausgaben noch leisten kann.
Nun kann man den Artikel 71 allerdings auch anders lesen, nämlich so, dass im Fall einer Konjunkturkrise zusätzliche schuldenfinanzierte Ausgaben erlaubt sind – zu dem Zweck, die Staatstätigkeit zu erhöhen und damit die Nachfrage für die Wirtschaftskraft zu beleben. In dieser Lesart müssten die neue Schulden weder zielgerichtet für bestimmte Schritte der Konjunkturbelebung eingesetzt werden – noch wäre als Vorbedingung für den Griff in die Kreditkasse eine Sparpolitik an anderer Stelle des Landeshaushalts nötig.
Jetzt lässt sich zwar grob eingeteilt sagen, dass die Anhänger der strengen Lesart, die der Rechnungshof hier vorträgt, eher auf der Seite der Christdemokraten und Freidemokraten zu finden sind – und die Vertreter der entgegengesetzten Position eher bei Sozialdemokraten und Grünen. Ein wenig geoutet hat sich kürzlich auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), als er in einer Pressekonferenz auf Nachfragen verneinte, dass gegenwärtig eine Überprüfung der staatlichen Ausgaben angebracht sei. Der Gegenpol dürfte durch Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) zu beschreiben sein, der immer wieder Anhänger einer solchen Überprüfung war. Immerhin steht das Vorhaben der Aufgabenkritik und Verwaltungsreform auch im Koalitionsvertrag, und sogar eine Regierungskommission wurde vor anderthalb Jahren zu diesem Zweck beschlossen. Doch diese ist bisher vor allem durch Tatenlosigkeit aufgefallen. Bei näherem Hinsehen verläuft die Trennungslinie der Haltungen in der Großen Koalition auch nicht streng zwischen Sozial- und Christdemokraten. Es gibt auf beiden Seiten Anhänger und Skeptiker mit Blick auf die Notwendigkeit einer strengen Überprüfung der bisherigen Ausgaben. Nicht zuletzt haben die Skeptiker auch wahltaktische Gründe auf ihrer Seite: In einem Jahr sind Kommunalwahlen, in zwei Jahren Landtagswahlen. Im Vorfeld von Wahlen, so lautet die überlieferte (und vielleicht total veraltete und nicht mehr haltbare) Position, sind Reformen und Einsparungen Gift für die Regierenden.