Der erste Sündenfall, soviel ist klar, geht eindeutig auf das Konto der niedersächsischen CDU. Als Mitte Juli, zwei Monate vor der Kommunalwahl, die ersten Plakate den bevorstehenden Super-Wahl-September ankündigten, lächelte auf etlichen Großflächen CDU-Landeschef Bernd Althusmann die Menschen an. Die CDU bot lediglich die Worte „gemeinsam stark“ auf – und den Namen ihres Vorsitzenden.

Foto: kw

Nun hätte man in den vielen Kommunen, die ihre Verwaltungschefs am 12. September neu wählen, auf den ersten Stellwänden eher die Konterfeis der Landrats- oder Bürgermeisterkandidaten vermutet. Vielleicht auch die Bilder des Kanzlerkandidaten Armin Laschet oder der örtlichen CDU-Bundestagswahlkreiskandidaten für den 26. September. Aber Althusmann? Der stellt sich weder für die Bundestagswahl noch für ein kommunales Gremium oder Spitzenamt zur Verfügung. Er steht in diesem September überhaupt nicht zur Wahl.


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Irritation über Althusmann-Plakat


Die Irritation, heißt es aus der niedersächsischen CDU-Zentrale, war durchaus beabsichtigt. Getreu dem alten Wahlkämpfermotto, wonach keine Aktion im Wahlkampf wirklich gut ist, wenn über sie nicht heftig geredet oder gestritten wird, mag der Schritt der CDU logisch erscheinen – selbst wenn in den eigenen Reihen das Verständnis dafür nicht immer ausgeprägt war. Doch was wir seit dieser Welle an Althusmann-Großflächen in Niedersachsen bis jetzt, Ende August, noch so alles erlebt haben, spottet dann jeder Beschreibung. Das CDU-Verwirrspiel fand nämlich viele Nachahmer, und nicht nur in der CDU.

Wer kandidiert hier eigentlich für was? – Foto: kw; nkw

Normalerweise dienen die Plakate der Einstimmung auf bevorstehende Wahlen. Idealerweise werden dann von den Parteien die Personen gezeigt, die sich bei den Wahlen um Spitzenämter bewerben. Das ist an sich in diesem Jahr schon schwer genug, denn in der Hälfte der niedersächsischen Kommunen gibt es drei parallele Wahlen – für die kommunalen Gremien am 12. September, für die kommunalen Verwaltungschefs am gleichen Tag und für den Bundestag zwei Wochen darauf. Aufgabe der Parteien wäre es nun gewesen, auf den Plakaten klar kenntlich zu machen, wer der dort abgebildeten Personen für welche Position antritt. Handelt es sich um den Bundestags-Wahlkreiskandidaten? Um den Bürgermeisterkandidaten? Den Wunsch-Landrat? Oder um einen Bewerber für die ehrenamtliche Mitarbeit im Stadtrat oder Kreistag?

Früher war es auch übersichtlicher, weil neben dem Bundestags-Direktkandidaten und dem Kanzlerkandidaten meistens höchstens der Bürgermeister- oder Landratskandidat gezeigt wurde.

Früher war die Unterscheidung nicht nur deshalb einfacher, weil Kommunal- und Bundestagswahlen selten gleichzeitig stattfanden. Es war auch übersichtlicher, weil neben dem Bundestags-Direktkandidaten und dem Kanzlerkandidaten meistens höchstens der Bürgermeister- oder Landratskandidat gezeigt wurde. Dass sich aber einzelne Stadtrats- oder Kreistagskandidaten auf Plakaten präsentieren und diese interessiert daran sind, ihr Foto an die Bäume zu hängen, war früher unüblich. Sogar Großflächen mit Stadtratskandidaten sind heute zu sehen – manchmal einzeln, manchmal in einer Gruppe von drei, die sich zusammengetan haben. Das alles ist an sich legitim, viele Gesichter beleben den Wahlkampf – und damit wächst auch die Chance, dass die Passanten wenigstens einige von denen, die ihnen visuell begegnen, persönlich schon mal kennengelernt haben.

Bundestags- und Kommunalwahlplakate wild durcheinander – Foto: nkw

Nur: Ein guter Service der Parteien für die Wähler wäre es, wenn jeweils durch Zuschreibungen oder Erklärungen deutlich würde, für welches Amt der jeweils Abgebildete antritt. Zu oft jedoch werden nur die Gesichter gezeigt, die Namen und das Parteiemblem gezeigt – nähere Angaben fehlen häufig, in einigen Fällen heißt es auch nur „Gemeinsam für Döhren-Wülfel“ oder „für Pattensen“.

Apropos Pattensen: Skurril erschien, dass zum Wahlkampfstart die SPD in der Stadt jede Menge Plakate mit Kommunalwahlkandidaten aufstellte, nicht jedoch solche der eigenen Bürgermeisterkandidatin, obwohl die doch unbestreitbar die wichtigste Bewerberin sein sollte. So entstand zuweilen der Eindruck, die SPD Pattensen habe kurzfristig die Kandidaten ausgetauscht – was natürlich Unsinn ist. Mittlerweile ist der Mangel behoben, nun sieht man auch Bürgermeisterin Ramona Schumann, wenn auch nur vereinzelt. Ein Gefühl von Chaos bleibt.

Ist es eine Form von neuartigem Exhibitionismus, der da bei Parteimitgliedern um sich greift?

Eine eigene soziologische Untersuchung Wert wäre die Frage, was die vielen Stadtrats- und Kreistagskandidaten vor dieser Wahl bewogen haben mag, sich unbedingt selbst auf Plakaten sehen zu wollen. Ist es eine Form von neuartigem Exhibitionismus, der da bei Parteimitgliedern um sich greift? Eine Nachwirkung von Corona? Oder korreliert der erstarkende Wunsch nach persönlicher Selbstdarstellung mit dem Bedeutungsverlust der Volksparteien, die in vielen Orten echte Mühe hatten, genügend Leute für die kommunalen Ehrenämter zu gewinnen? Oder ist es eine Form von Sozialneid, weil die „einfachen“ Ratsmitglieder und Kreistagsabgeordneten es allmählich satt haben, in der öffentlichen Wahrnehmung stets hinter dem Bürgermeister oder Landrat zu verblassen? Wer mag, kann in dem Trend auch eine Form von Entsolidarisierung erkennen.

Es gibt nämlich etliche Beispiele, bei denen sich aus einer Liste von zehn oder mehr Personen wenige herausschälen, gern etwa drei, die sich selbst auf die Plakate setzen. Da das niedersächsische Kommunalwahlrecht die Personenwahl kennt und die Wähler die Chance haben, einzelne Kandidaten unabhängig von ihrem Listenplatz zu wählen, sind die Kandidaten auf der Stadtratsliste einer Partei nicht nur gegenüber den Bewerbern anderer Parteien, sondern auch untereinander natürliche Konkurrenten. Das Herausstellen einzelner über besondere Plakataktionen stärkt diesen parteiinternen Wettbewerb noch. Übertrieben gesagt: Das bunte Bild an verschiedenen Köpfen und Namen, das uns in diesem Wahlkampf begegnet, ist eben nicht nur ein Zeichen für Vielfalt und lebendige Demokratie, sondern auch ein Zeichen für wachsenden politischen Wettbewerb und für schwindenden innerparteilichen Zusammenhalt. Da mag man noch so oft das Wort „gemeinsam“ drucken.

Aus Sicht des politischen Konsumenten aber ist das alles ein reines Desaster: Vielen Menschen sind die handelnden Politiker – auch in der eigenen Kommune – nicht mehr bekannt. Aber wenn die erhoffte Aufklärung im Wahlkampf einer neuen Unübersichtlichkeit geopfert wird, schreckt das ab. Spätestens in der Wahlkabine kann das zum Problem werden, wenn sich einige Wähler fragen: Wer verbirgt sich hinter dem Namen meines Bürgermeisterkandidaten? War das der, dessen Foto bei mir um die Ecke am Laternenpfahl hängt – oder ist das vielmehr der, der in der Mitte der SPD-Liste zur Stadtratswahl antritt und auf den anderen Plakaten zu sehen war? Dann wird die Stadtratswahl zur Stadt-Ratlos-Wahl.

Dabei weiß doch jeder Wahlkämpfer: Politische Botschaften müssen einfach, klar und einprägsam sein. Das gilt auch dann, wenn die Namen der Personen diese Botschaften sind. (kw)