Das „Milliardenloch“ ist wie das Ungeheuer von Loch Ness
Darum geht es: Über die Haushaltspolitik der rot-schwarzen Koalition wird in ungeahnter Heftigkeit gestritten. FDP und Grüne überbieten sich mit Beschimpfungen – sie sprechen von „Luftbuchungen“ und nennen den Finanzminister einen „Falschmünzer“. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Zwischenstand in normalem Verfahren
Ein wenig mehr vorösterliche Gelassenheit täte den Haushaltspolitikern derzeit wohl gut. Denn so aufregend, wie Grüne und FDP die aktuellen Entwicklungen im Finanzministerium beschreiben, sind diese mitnichten. Vielmehr handelt es sich um einen Zwischenstand im ganz normalen Verfahren zur Aufstellung des Landesetats für 2019. Dabei ist nun aufgefallen, dass die Ausgabewünsche der Ministerien den verfügbaren Rahmen um 600 Millionen Euro überschreiten. Die Summe ist groß, aber damit hätte man rechnen müssen.
Keine Anstalten, das Sparen zu planen
Zunächst nun ist der Opposition in einem zuzustimmen. Mit Recht sprechen Freidemokraten und Grüne ein Unbehagen aus, das hinter vorgehaltener Hand auch von manchen Politikern der Großen Koalition geteilt wird: Die Regierung spricht reichlich und mit wachsender Begeisterung über das Ausgeben von Geld, nicht aber von Verwaltungsreformen, Ausgabekürzungen und Konsolidierungen. Als „seriös“ kann aber nur eine Politik bezeichnet werden, die beide Seiten berücksichtigt – gerade auch in Zeiten reichlich sprudelnder Steuereinnahmen. Mit vollen Kassen lassen sich notwendige Strukturreformen, etwa Vereinfachungen im komplizierten Verwaltungsaufbau, leichter verwirklichen. Es ist dann nämlich Geld vorhanden, um den Schmerz der Verlierer solcher Entscheidungen mit Übergangshilfen abzufedern. Das Erschreckende an dieser rot-schwarzen Koalition ist allerdings, dass die Akteure bisher nicht einmal Anstalten machen, solche unpopulären Vorhaben auch nur zu planen. Sie bewegen sich wie in einer rosaroten Wunsch-Welt.
Gefahr ist Legende
Diese Enttäuschung über die Mutlosigkeit der Regierung Weil/Althusmann erklärt manche harte Wortwahl der Opposition. Berechtigt ist die Kritik von Grünen und FDP in der Sache allerdings nur eingeschränkt. Sie bezogen Position zu Mutmaßungen, in einem internen Papier von Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) seien „Milliardenlöcher“ zutage getreten. Tatsächlich gibt es diese Löcher so wenig wie das oft beschriebene Ungeheuer von Loch Ness in Schottland. Man malt die Gefahr an die Wand, die sich als bloße Legende entpuppt. Ja, Hilbers hat in der internen Auflistung, die dem Rundblick vorliegt, rote Zahlen in erheblicher Höhe notiert – von 1,57 Milliarden Euro ist dort beispielsweise für 2021 die Rede. Aber: Damit ist nur zusammengestellt, was an Wünschen aus den Ministerien vorgetragen wurde. Die sehr wahrscheinlichen Einnahmen des Bundes, die gegenzurechnen sind, hat er in dieser Darstellung ausgeklammert, denn er wollte nur die Folgewirkungen der Wunschlisten erläutern. Wenn man dem Minister nun „Luftbuchungen“ vorwirft, ist das unseriös: Die Übersicht des Ministers geschieht ganz am Anfang, bevor ein Haushaltsplan überhaupt die Entwurfsreife erreicht hat. Bis zum Kabinettsbeschluss im Juni dürften sich die Bundes-Zuschüsse klarer abzeichnen. Dass dies jetzt noch nicht der Fall ist, liegt doch allein daran, dass die neue Bundesregierung gerade erst eine Woche lang im Amt ist. Für Zweifel daran, dass der Bund bei Integration und Bildungsvorhaben den Ländern mit größeren Beträgen helfen wird, gibt es jedenfalls keinerlei Anzeichnen. Ebenso verkehrt wäre es, die angemeldeten Vorhaben der Ministerien schon als fest verankerte Ausgaben anzusehen. Tatsächlich werden viele Ressorts noch schmerzhaft von manchen Projekten Abstand nehmen oder sie auf die lange Bank schieben müssen.
Nicht mehr als ein „Weckruf“
Die aufgeregte Debatte über den Status-quo-Bericht des Finanzministers zur Haushaltsplanung ist jedenfalls stark übertrieben. Aber Hilbers trägt auch einen Teil Mitschuld daran, dass ihm die Grünen und die Freidemokraten nun vorwerfen, er rede öffentlich anders als internen Sitzungen. Tatsächlich hat der Minister in der Kabinettssitzung ein Worst-Case-Szenario entworfen und präsentiert, weil er damit die Ministerriege aufrütteln und zur Bescheidenheit animieren wollte. Mehr als ein „Weckruf“ sollte das nicht sein, zumal das Land gegenwärtig von der Gefahr realer Milliardenlöcher doch sehr weit entfernt ist. Diese Unterlage wurde als „intern“ bezeichnet und sickerte an die Öffentlichkeit, womit nun der Eindruck aufkam, es handele sich um ein „Geheimpapier“, das die reale Situation viel drastischer und negativer beschreibt als die öffentlich verkündete Einschätzung. Wenn man so agiert, darf man sich über die misstrauischen Fragen nicht wundern, ob man nicht irgendeine unangenehme Wahrheit vertuschen und schönreden möchte. Das ist hier allerdings offenkundig nicht der Fall, denn die Zahlen und Daten, die Hilbers verwendet hat, sind nicht neu, nicht überraschend und nicht dramatisch.
Gewaltige Bedeutung in der Öffentlichkeit
Hilbers sollte gewarnt sein: Jedes Papier, das den Titel „intern“ trägt und irgendwie an die Öffentlichkeit sickert, bekommt automatisch eine gewaltige Bedeutung. Auch wenn, wie in diesem Fall, der Inhalt bei Lichte betrachtet doch recht dürftig bleibt.