
Das hat niemand in seinen Kalkulationen berücksichtigt und das hält keine Wirtschaft aus“, sagt Unternehmer Jürgen Schlote. | Foto: Link
Die Energiekrise bringt den wichtigsten Job- und Wachstumsmotor in Niedersachsen ins Stottern: Im Mittelstand droht angesichts der horrenden Preissteigerungen eine Insolvenzwelle. In einer Blitzumfrage der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) gaben kürzlich 38 Prozent der Betriebe an, dass sie ohne staatliche Unterstützung definitiv nicht über die Runden kommen werden. Und auch erfolgreiche Mittelständler fordern endlich konkrete Entlastungen für Unternehmen. „Die Gemengelage ist brisant und ich habe das Gefühl, das ist noch nicht wirklich verstanden worden. Wir müssen derzeit um unseren Wohlstand kämpfen“, mahnt Jürgen Schlote, der Chef der gleichnamigen Unternehmensgruppe aus Hildesheim. Für Schlote ist klar: Jetzt ist der Staat gefragt. „Wir haben eine Vervielfachung der Verbrauchspreise. Das hat niemand in seinen Kalkulationen berücksichtigt und das hält keine Wirtschaft aus“, sagt Schlote und fordert schnellstmöglich einen Preisdeckel für Strom und Gas – anders könnten deutsche Unternehmen gar nicht wettbewerbsfähig bleiben.
„Im letzten Jahr haben wir an der Börse noch Strom zu einem Erzeugerpreis von 4 Cent gekauft. Das ist auch halbwegs realistisch, so viel kostet es in etwa, Strom zu produzieren“, sagt Schlote. Mittlerweile lägen die Stromkosten vor Steuern und Abgaben allerdings bei 64 Cent. In seinen sieben deutschen Werken, die zusammen 60 Megawattstunden pro Jahr verbrauchen, muss der Automobil-Zulieferer mittlerweile einen Verbrauchspreis von rund 70 Cent pro Kilowattstunde zahlen. In der tschechischen Fabrik sei der Preis dagegen nur von 6 auf 18 Cent gestiegen, am Standort China sogar nur unmerklich von 8 auf 8,3 Cent. „Energieversorgung ist eine hoheitliche Aufgabe und dabei hat der Staat über Jahrzehnte Harakiri gespielt“, ärgert sich Schlote und fordert Maßnahmen auf allen Ebenen – vor allem aber eine schnelle Regulierung und Stabilisierung des Strommarkts.
Als erster Schritt müsse die Gasverstromung aus der Strompreisbildung herausgenommen werden. Danach sei eine grundsätzliche Reform der Strombörse fällig, an der der Strompreis derzeit durch das am teuersten produzierende Kraftwerk bestimmt wird (Merit-Order-Prinzip). „Der Strompreis muss etwas mit den Kosten zu tun haben und nicht mit den Spekulationen an der Börse“, sagt Schlote. Beim Energieeinkauf lasse sich seine Unternehmensgruppe zwar von Experten beraten, doch auch die hätten vor der Eskalation der Energiekrise nicht zu langfristigen Stromverträgen geraten. „Deswegen kaufen wir aktuell auf Monatsbasis ein“, berichtet der Konzernchef und erwartet nun mit Spannung, den von der Bundesregierung versprochenen Energiepreisdeckel. „Damit wir wettbewerbsfähig sind, muss der Bruttostrompreis eigentlich wieder auf 12 bis 13 Cent fallen“, sagt Schlote. Langfristig fordert der Unternehmer einen für die gesamte Eurozone gültigen Industriestrompreis, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, nachdem Aufträge ab 215.000 Euro schließlich auch europaweit ausgeschrieben werden müssen.

Einen Gaspreisdeckel hält Schlote ebenfalls für unverzichtbar. Bis die LNG-Terminals die Versorgungslage entspannt haben, müsse zumindest ein Teil der Erdgas-Mehrkosten für die Unternehmen aus dem Staatshaushalt finanziert werden. Außerdem fordert er eine bessere Planung der Energiewende ein, die alle Beteiligten mitnimmt und auch das Risikomanagement nicht vernachlässigt. „Eine vernünftige Energieversorgung ist die Basis für eine prosperierende Gesellschaft“, betont Schlote. Neben dem kontinuierlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien dürfe man auch die anderen Energieträger nicht frühzeitig abschreiben. „Ohne die Gaskraftwerke hätten wir schon jetzt einen Lockdown“, mahnt Schlote. Auch die Industrie sei bereit, bei der Energiewende ihren Anteil zu leisten. „Wir werden alle unsere Dächer mit Photovoltaik-Anlagen voll machen“, kündigt der Chef der Schlote-Gruppe an. Doch selbst damit könne seine Firmengruppe bestenfalls 10 bis 15 Prozent des Stromverbrauchs selbst erzeugen. Und außerdem dürfe man nicht vergessen, dass das verarbeitende Gewerbe neben dem Energiewandel auch noch die Transformation der Industrie bezahlen muss.
„Die Zukunft für Unternehmen, die auf den Antriebsstrang spezialisiert sind, ist eher düster. Es wird von Jahr zu Jahr rückläufige Produktionszahlen geben. Wer es nicht schafft, sich zur Elektromobilität zu transformieren, den wird es nachher nicht mehr geben“, sagt der Chef der Schlote-Holding. Durch den Wandel zum Elektroantrieb drohe der deutschen Automobilindustrie ein massiver Bedeutungsverlust, der nur mit staatlicher Unterstützung abgewendet werden könne. „Durch die Energiekosten haben wir null Spielraum. Viele mittelständische Unternehmen haben ihre Gewinne aufgebraucht, einige sind sogar in der Verlustzone“, sagt Schlote und fügt hinzu: „Der gute Gesundheitszustand der DAX-Konzerne ist ein Trugbild.“
Aufgrund der immensen Kostensteigerungen bei Energie- und Materialkosten müssten die Unternehmen zwangsläufig die Preise erhöhen. „Bei Industrieunternehmen geht das aber nicht ganz so schnell“, sagt Schlote mit Verweis auf lange Vertragszeiten. Die Gewerkschaftsforderung nach einer 8-prozentigen Lohnerhöhung in der Metall- und Elektrobranche sieht er deswegen kritisch. Das Ziel müsse es sein, die Kaufkraft der Arbeitnehmer zu stärken, aber die Unternehmen gerade jetzt nicht zu überfordern. „Wir laufen Gefahr, mit überzogenen Tarifforderungen, Arbeitsplätze in Deutschland zu vernichten. Wenn sich die Kostenstrukturen der Automobilzulieferer nochmal verschärfen, wird das zu einer deutlichen Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit und zu Auftragsverlusten führen“, mahnt Schlote. „Die Konsequenzen daraus wären zwar erst mit einer Zeitverzögerung zu spüren, aber sie wären fatal. Aufträge gehen immer dahin, wo sie am günstigsten einzukaufen sind“, sagt der Unternehmer und sieht die Gefahr, dass Industriearbeitsplätze abwandern. Nachdem in vielen osteuropäischen Staaten nahezu Vollbeschäftigung herrscht, werde dabei wohl der Balkan aufgrund von günstigen Energie- und Lohnkosten zunehmend interessant.