Darf das Ministerium verschweigen, welche Wölfe abgeschossen werden sollen?
Es ist keine zwei Wochen her, da ist es Kreisjägermeistern bei Löningen im Landkreis Cloppenburg gelungen, einen Wolf zu töten. Der Abschuss des Tieres war nach Einschätzung des niedersächsischen Umweltministeriums durch eine Ausnahmegenehmigung gedeckt. Allerdings hat man das falsche Tier erwischt: Zum Abschuss freigegeben war der Rüde des sogenannten Herzlaker Rudels, getötet wurde aber die Fähe, also ein weibliches Tier. Aus Perspektive des Umweltministeriums stellt das aber kein Problem dar. „Da eine sichere Identifizierung eines Wolfs-Individuums bei Vollzug im Gelände nicht zweifelsfrei möglich ist, kann eine Identifizierung nur über den räumlich-zeitlichen Zusammenhang in Anknüpfung an die Schadensereignisse erfolgen“, heißt es dazu in Behördensprache in der Pressemitteilung.
Dieser Logik folgend gilt also: Wenn man den Problemwolf nicht erkennen kann, darf man unter gewissen Umständen irgendeinen Wolf aus dem Problemrudel töten. Daraus schlussfolgert das Umweltministerium, dass der Abschuss des weiblichen Wolfes vom geltenden Recht gedeckt sei, auch wenn man eigentlich den Rüden wollte.
Nabu wirft Minister „Wildwest-Manier“ vor
Ob das alles rechtens war, hätten sowohl die niedersächsische Grünen-Fraktion als auch der Naturschutzbund (Nabu) allerdings gern vor dem Abschuss eines Tieres geklärt gewusst. „Wir sind hier nicht im Wilden Westen, wo nach Gutdünken Wölfe abgeschossen werden, bis man den richtigen Wolf irgendwann trifft“, kritisierte Nabu-Landeschef Holger Buschmann das Vorgehen des Umweltministeriums. Genau dieser Eindruck der Wildwest-Manier werde dadurch erweckt, dass das Ministerium von Olaf Lies (SPD) „geheime Abschusslisten von Wölfen“ führe. Medienberichten zufolge stehen derzeit fünf Tiere auf dieser Liste – neben dem wohlbekannten Rodewalder Rüden im Kreis Nienburg noch zwei Tiere in Uelzen und wohl zwei in der Region Hannover.
Christian Meyer, als Grünen-Fraktionsvize für Naturschutz zuständig, argumentiert in dieselbe Richtung wie der Nabu: „Ob die strengen Voraussetzungen für die Tötung eines sogenannten Problemwolfes vorlagen, konnte durch die Geheimniskrämerei des Umweltministeriums nicht vorher gerichtlich überprüft werden.“ Meyer verweist an dieser Stelle auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg aus dem vergangenen Jahr, das eine Abschussgenehmigung im Landkreis Uelzen als „teilweise rechtswidrig“ eingestuft hatte. Umweltminister Lies nahm das OVG-Urteil damals sportlich und besserte nach. Aus Perspektive des Ministers sind die Genehmigungen nun alle in Ordnung. Vor einer Klage nach Abschuss des Tieres sorgt er sich deshalb nach eigenen Angaben auch nicht. Doch vor dem Abschuss eines Wolfes soll die Sache dennoch möglichst geheim bleiben. Im Ministerium möchte man vermeiden, dass die Jagd sabotiert und die Jäger oder die Antragsteller attackiert werden – daher das große Schweigen.
Informationspflicht gegen Schutz der Personen
Politisch und sachlich mag das einleuchten, aber ist es auch legal? Die Hausjuristen des Umweltministeriums haben die Vorgehensweise gründlich geprüft und ihre Argumentation in einem zehnseitigen Vermerk dargelegt. Darin berufen sie sich unter anderem auf zwei Ausnahmen, die im Umweltinformationsgesetz geregelt sind. Hätte die Preisgabe einer Information „nachteilige Auswirkungen auf bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit“ oder würden „personenbezogene Daten offenbart und dadurch Interessen der Betroffenen erheblich beeinträchtigt“, dürfte demnach ein Informationsgesuch abgelehnt werden. Um das Unterfangen nicht zu gefährden und die Beteiligten zu schützen, bleiben die Informationen also geheim.
Ähnlich verhält es sich bei Anfragen aus dem Landtag. Das Fragerecht des Parlaments ist in der Landesverfassung geregelt. Das Umweltministerium vertritt die Auffassung, dass der Minister dieser Informationspflicht durch eine mündliche Unterrichtung in einer vertraulichen Sitzung des Umweltausschusses des Landtags nachgekommen sei. Die Hausjuristen berufen sich darüber hinaus auf Artikel 24 Absatz 3 der Landesverfassung, wonach eine schriftliche Auskunft verweigert werden kann, falls dadurch „schutzwürdige Interessen Dritter verletzt“ würden.
Grüne wollen nicht wissen, wer schießt
Grünen-Fraktionsvize Meyer ist mit dieser Argumentation nicht einverstanden und erwägt eine juristische Überprüfung. Mit einer kleinen Anfrage will er dem Umweltminister noch einmal die Möglichkeit geben, öffentlich und schriftlich zu erklären, welche Tiere zum Abschuss freigegeben sind. Meyer geht es dabei auch um eine Darstellung der Gründe und der Überprüfbarkeit des zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs. Ob dieser beim Abschuss in Cloppenburg gegeben war, kann derzeit kaum nachvollzogen werden.
Wer den Antrag auf die Sondergenehmigung gestellt hat und wer mit der Tötung der Tiere beauftragt wurde, könnte nach Ansicht Meyers aber durchaus geschwärzt werden. Der Schutz der Interessen Dritter könnte auf diese Weise gewahrt bleiben. Sollte der Minister die Auskunft aber weiterhin verweigern, wovon aufgrund der Argumentation der Juristen auszugehen ist, möchte Meyer vorm Staatsgerichtshof klagen und sich auf sein Auskunftsrecht als Abgeordneter berufen.
Vergleich mit Schächt-Urteil
Meyer vergleicht diesen Fall mit einem Prozess, der erst kürzlich vorm Staatsgerichtshof verhandelt wurde. Damals ging es darum, dass die damalige AfD-Fraktion wissen wollte, für welche Schlachtbetriebe Sondergenehmigungen zum Schächten von Tieren erteilt worden sind. Das Agrarministerium vertrat die Auffassung, dass zwar die Information über die Anzahl der Sondergenehmigungen veröffentlicht werden könne – nicht aber die Daten der konkreten Betriebe, da die Geschäftsinteressen der Betriebe geschützt werden müssten und die Unternehmen sonst einer Gefahr ausgesetzt würden. Der Staatsgerichtshof stimmte dieser Argumentation zu und die AfD unterlag.
Überträgt man diese Argumentation aber auf die Sondergenehmigungen zur Tötung der Wölfe, könnte das Gericht am Ende zu dem Ergebnis kommen, dass das Umweltministerium deutlich mehr Informationen veröffentlichen muss, als es das derzeit tut. Aber sicher nicht alle – nämlich genau jene nicht, die Antragstellern und Beauftragten das Leben schwer machen könnten. Es bliebe dann noch die Gefahr der Sabotage einer Jagd. Ob diese aber ausreicht, um sämtliche Informationen über die Abschussliste mit Problemwölfe geheim zu halten, bleibt die offen Frage, die womöglich erst das Gericht klären wird.
Von Niklas Kleinwächter