Als die griechische Finanzkrise noch ein großes mediales Thema war, als überall die Angst vor dem Ende des Euro grassierte, da wurden hierzulande hin und wieder Vergleiche gezogen. Die Stadt Cuxhaven mit ihren knapp 50.000 Einwohnern sei „das Griechenland Niedersachsens“, hieß es. Das hatte eine doppelte Bedeutung: Zum einen stecken die Cuxhavener so tief im Morast ihrer Schulden wie die Griechen – und die Chance, aus eigener Kraft dort wieder herauszukommen, ist hier so gering wie dort. Zum anderen sind die Cuxhavener so chaotisch organisiert wie die Griechen, dass ohne die im Grunde verhasste Unterstützung oder Anleitung von außen kaum Besserung möglich ist. „Da ist Hopfen und Malz verloren“, heißt es dann oft. Und viele Oberbürgermeister, die einen ehrlichen Spar- und Reformwillen hatten, sind an den Cuxhavener Verhältnissen gescheitert, an gegenseitigen Begünstigungen und Abhängigkeiten. Cuxhaven galt als unregierbar.

Viel Wasser, wenig Geld: Cuxhaven  -  Foto: Jakob Brüning

Viel Wasser, wenig Geld: Cuxhaven – Foto: Jakob Brüning

Das war vor ein paar Jahren. Heute wird über Cuxhaven ganz anders gesprochen. Ob sich die Verhältnisse wirklich total gewandelt haben und der parteilose Oberbürgermeister Ulrich Getsch wirklich die Lage so viel besser im Griff hat als seine Vorgänger? Tatsache ist: Cuxhaven freut sich über eine bevorstehende Siemens-Ansiedlung. Antriebsgondeln für Windräder sollen hier fertiggestellt werden, eine 200-Millionen-Euro-Investition. Von rund 1000 Arbeitsplätzen für die Stadt ist die Rede. Eine große Sache also, die steigende Gewerbesteuereinnahmen verspricht. Das ist nach langer Zeit wieder eine sehr gute Nachricht für die Stadt, die mit ihrer auf den Tourismus ausgelegten Infrastruktur in die Krise gekommen ist. Es gibt Cuxhaven-Fans, die hier gern Urlaub machen – und es gibt jene, die das Angebot für altbacken halten. Auf jeden Fall ist der Fremdenverkehr nicht so stark, dass er die kommunalen Finanzen aufpäppeln könnte – früher so wenig wie heute. Die Stadt ist chronisch pleite. Einen Berg von 320 Millionen Euro an Kassenkrediten schiebt die Kämmerei vor sich her, das ist ein Spitzenwert in Niedersachsen.

Am 1. September nun geschieht, was noch vor Jahren undenkbar schien: Das Land schließt einen „Entschuldungsvertrag“ mit der Stadt Cuxhaven. Um knapp 190 Millionen Euro wird der Schuldenberg vom Land abgetragen, das sind 60 Prozent der Kassenkredite. Der Rest bleibt – und die Stadt verspricht, zehn Jahre lang den Kassenkreditbestand jährlich um nicht mehr als 17,5 Millionen Euro anwachsen zu lassen. Kann das klappen? Grund- und Gewerbesteuer müssten wohl steigen, die Stadt müsste ihre Ausgaben zurückfahren, Vermögen müsste veräußert werden. Unter Getsch, so heißt es in Kreisen der Kommunalpolitiker, sei all dies erfolgversprechender als früher. Die Kurtaxe wird erhoben, und gleichzeitig soll auch eine Bettensteuer kassiert werden, die für alle Übernachtungen in Ferienunterkünften fällig wird. 1,27 Millionen Euro soll diese bringen. Eigentlich wollte Rot-Grün im neuen Kommunalabgabengesetz festlegen, dass es nur ein Entweder-oder gibt – entweder Kurtaxe oder Bettensteuer. Da aber Cuxhaven mit seinen Konsolidierungspflichten (sieben Millionen Euro jährlich) ohne Bettensteuer nicht zurande kommt, soll nun ein Sowohl-als-auch ins Gesetz. Spötter sprechen von einer „Lex Cuxhaven“.

Aber ist das alles überhaupt klug? Skeptiker fürchten, dass diese große Hilfe für Cuxhaven am Ende doch ihr Ziel verfehlt, da es trotz OB Getsch, trotz guter Konjunktur, trotz Siemens und trotz aller anderen guten Hoffnungszeichen auch diesmal in Cuxhaven nicht werde gelingen können, aus dem Schlamassel herauszukommen.

Doch es gibt noch eine andere Begründung für das, was sich in Cuxhaven vollzieht. Da geht es weniger um vermeintlich gute Aussichten für die Zukunft als vielmehr um die Gegenwart. Dadurch, dass das Land Niedersachsen der Stadt unter die Arme greift, bürgt es gewissermaßen auch für die leidgeprüfte Stadt. Ganz so, wie die EU und die Troika für die wenig kreditwürdigen Griechen einsteht. So können die Cuxhavener auch künftig von den sehr niedrigen Zinsen profitieren, die dem Land Niedersachsen selbstverständlich zustehen – die Cuxhaven allein aber nicht mehr bekommt.  In dieser Perspektive wirkt der Vertrag für Cuxhaven weniger als erster Schritt in eine rosige Zukunft – sondern vielmehr wie ein Akt der Nothilfe. So, wie die Strategen der EU dafür sorgen, dass auch Griechenland sich Geld zu vernünftigen Bedingungen leihen kann.

Der Entschuldungsvertrag für die stolze Stadt an der Nordsee müsste dann womöglich unbenannt werden in: Vertrag zur Sicherung der kommunalen Kreditwürdigkeit. (kw)