Chaos in der Staatskanzlei
Darum geht es: Der Leiter der Staatskanzlei, Staatssekretär Jörg Mielke, hat die Vorgänge in der Regierungszentrale schonungslos beschrieben – die Suche nach einem neuen Landesmotto verlief unproduktiv und chaotisch, sie wurde von heftigem Streit begleitet. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Als Staatskanzleichef Jörg Mielke vergangenen Freitag vor die Presse trat, um die Ergebnisse der internen Aufklärung zu präsentieren, wirkte er glaubwürdig. Da stand niemand, der vertuschen oder abwiegeln will. Mielke, ein Anhänger der geordneten, an feste Regeln gebundenen Verwaltung, wirkte vielmehr verärgert über die eigenen Leute. Was rund um die Suche nach dem neuen Landesmotto „Niedersachsen. Klar.“ geschehen ist in den vergangenen vier Jahren, muss jeden Anhänger einer klar gegliederten Bürokratie fassungslos machen. Da sind Akten schlampig geführt worden. Es gab unendliche Diskussionsprozesse ohne Ergebnis. Erst wurde tagelang geredet und geredet, dann geschah monatelang nichts – und schließlich entstand Hektik, weil der erhoffte kreative Prozess nichts zutage förderte. Als wäre das nicht schon genug, bekamen sich die Abteilungen in der Staatskanzlei noch in die Haare. Und bei all dem profitierte einer, der seit vielen Jahren zu den engsten Freunden der niedersächsischen SPD zählt, der Kommunikationsberater Michael Kronacher. Der Gipfel: Er bekam sogar den Auftrag, einen internen Streit in der Staatskanzlei zu schlichten. Auch das misslang am Ende.
Wird hier neben Chaos und Missachtung der nötigen Verwaltungsregeln auch noch Vetternwirtschaft offenkundig, die gezielte Begünstigung eines nahestehenden Beraters, der unbedingt staatliche Aufträge erhalten sollte? Mielke fand dafür, wie er sagte, keinen Beleg. Aber von August an tagt ein Untersuchungsausschuss, er wird Akten durchforsten und Zeugen vernehmen. Womöglich wird dann noch ein gravierender Rechtsverstoß deutlich – und das dürfte dann nicht ohne personelle Konsequenzen bleiben. Immerhin: Zwei, wenn nicht drei Missachtungen der Vergaberegeln hat Mielke schon eingestanden, das ist mehr als das, was die Opposition bisher ahnte. Deshalb ist es kein Wunder, dass nun die Fragen drängender werden: Warum muss die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Staatssekretärin Anke Pörksen, Stephan Weils Regierungssprecherin, nicht ihren Hut nehmen? Hat sie nicht das mehrfache Versagen in diesem Fall zu verantworten, gleich, ob persönlich schuldig oder nicht?
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Tatsächlich wäre Pörksens Entlassung wohl die falsche Antwort. Nicht aus taktischen Gründen, denn bekannt ist, dass sich der nicht gerade von vielen Beratern umgebene Ministerpräsident gern auf die gute Juristin Pörksen stützt, etwa beim schwer kalkulierbaren Mega-Thema Volkswagen. Nein, die von Mielke beschriebenen Mängel und Fehlentwicklungen gehen nur zum Teil auf das Konto der Regierungssprecherin, was etwa die Aktenführung angeht und die Nähe zu Kronacher. Ein anderer, viel größerer Teil aber beschreibt einen Strukturfehler, der schon in der Anfangszeit der Regierung Weil aufgefallen war. Während frühere Ministerpräsidenten dazu neigten, die Staatskanzlei ganz schlank zu halten und möglichst viele operative Aufgaben in die Ministerien abzuwälzen, tat Weil 2013 das Gegenteil – er blähte die Staatskanzlei auf, holte neue Abteilungen und Landesbeauftragte, mischte sich in immer mehr Angelegenheiten direkt ein. Nicht nur das, Weil verzichtete auch auf einen durchsetzungsstarken, allseits als Autorität geachteten Chef der Staatskanzlei. Er schuf in der Regierungszentrale mehrere Machtzentren – Jörg Mielke, die formelle Nummer eins im Haus. Daneben Staatssekretärin Birgit Honé für Europafragen und Regionalförderung, Staatssekretär Michael Rüter für die Landesvertretung in Berlin und Staatssekretärin Anke Pörksen für die Pressestelle. Dass Mielke von den gravierenden Mängeln bei den Aufträgen an Kronacher erst sehr spät erfuhr, ist nicht sein Versäumnis, sondern Folge der Struktur dieser Staatskanzlei. Es war doch absehbar und musste Weil bewusst sein, dass sich die vier ranggleichen Staatssekretäre irgendwann in die Haare kriegen würden. Zwischen Honé und Pörksen, so wurde jetzt bekannt, ist das ja sogar so stark gewesen, dass man Kronacher als Therapeuten hinzuziehen wollte. Welch Ironie dieses Skandals.
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Was hat Weil getrieben, als er seine Staatskanzlei so aufgebaute? Dachte er an ein Dezernentenkollegium in einer Großstadt wie Hannover? Wollte er nach dem Prinzip „teile und herrsche“ verhindern, dass ein Staatssekretär zu mächtig wird? Was immer es war, das Resultat hat er nun bescheinigt bekommen von dem Mann, der ihm einst als engster Freund in die Staatskanzlei folgte – Jörg Mielke. Plötzlich ist die Staatskanzlei nun geeignet, zum Gespött der ganzen Regierung zu werden. Das ist nicht gut für einen Ministerpräsidenten, der sich gerade auf einen schwierigen Landtagswahlkampf rüsten will und dazu die Geschlossenheit seiner rot-grünen Koalition braucht.
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