Landtagsvizepräsident Bernd Busemann (CDU) aus Papenburg gerät angesichts der vielen Absagen von Veranstaltungen, Sitzungen und Parteitage ins Grübeln: Ist die Art, wie wir leben, eigentlich noch angemessen? Seine Antwort im Rundblick-Interview lautet: Nein.

Landtagspräsident Bernd Busemann – Foto: Landtag Nds

Rundblick: Die Corona-Krise führt zu haufenweise Absagen von Veranstaltungen. Das verschafft den Politikern einen Freiraum und mehr Zeit. Wie, raten Sie, sollten die Kollegen diese Zeit nutzen?

Busemann: Ich bin schon sehr lange in der Politik. Aber das, was wir derzeit erleben, ist schon einmalig. In 40 Jahren Arbeit als Abgeordneter und Kommunalvertreter habe ich es noch nie erlebt, dass plötzlich vor Ostern alle Termine weggebrochen sind, alle Reisen und Veranstaltungen abgesagt werden. Das ist alles notwendig, denn der Schutz der Bevölkerung vor einer zu raschen Ausbreitung des Corona-Virus ist wichtig. Da muss der Politikbetrieb zurückstecken, auch die Belange der Wirtschaft müssen warten, denn die Gesundheit der Menschen hat Vorrang.

Ich finde nun, wir sollten diese Umstände nicht beklagen, sondern die Vorteile darin erkennen. Wir Politiker haben nun Zeit, die Dinge zu hinterfragen, nachzuhaken, Dingen auf den Grund zu gehen. Oder einfach nur aufzuräumen und die Gedanken neu zu ordnen. Das hat große Vorteile.

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Rundblick: Wenn es weniger Sitzungen gibt und mehr in Telefonaten oder Telefon-Schaltkonferenzen geregelt wird – könnte das Auswirkungen auf die Qualität und die Art der Entscheidungen haben? Können Sie sich hier eine positive oder auch eine negative Entwicklung vorstellen?

Busemann: Dass die Qualität von Beschlüssen leidet, wenn weniger lange und ausgiebig in vielen verschiedenen Runden darüber diskutiert wird? Das glaube ich nicht. Wir haben doch in Niedersachsen und in Deutschland allgemein eher das Problem, dass über bestimmte Fragen sehr lange, sehr ausgiebig und unter Hinzuziehung von sehr vielen Beteiligten gesprochen wird. Oft wird geklagt, beispielsweise von den Jugendlichen, die sich bei „Fridays for Future“ engagieren, dass in unserer Debattenkultur der Mut zu klaren Entscheidungen fehlt.

Ich möchte hinzufügen: Häufig fehlt in Diskussionsrunden die klare Strukturierung und die Orientierung auf ein deutliches Ergebnis. Wenn die Umstände rund um die Corona-Krise uns jetzt zwingen sollten, uns in Diskussionen kürzer zu fassen und schneller auf den Punkt zu kommen, dann kann das vielleicht auch eine Lehre für die Zeit nach Ende der Corona-Krise sein. Wir können lernen, disziplinierter zu arbeiten und uns schneller auf das Ergebnis auszurichten.

Offen gesagt: Der ganze Veranstaltungszirkus, der in der Politik seit vielen Jahren praktiziert wird, sei es im Landtag oder auch in den Kommunen, hat sowieso nicht die Sinnhaftigkeit, die viele ihm zusprechen.

Rundblick: Sollte die Corona-Krise uns Anlass geben, über unsere eingefahrenen Verfahrensweisen Gedanken zu machen? Tagen die Politiker zu häufig? Kann die Politik gewinnen, wenn sie die Häufigkeit ihrer Veranstaltungen reduziert? Oder ist die Gefahr groß, dass die Politik dabei an Bedeutung verliert?

Busemann: Offen gesagt: Der ganze Veranstaltungszirkus, der in der Politik seit vielen Jahren praktiziert wird, sei es im Landtag oder auch in den Kommunen, hat sowieso nicht die Sinnhaftigkeit, die viele ihm zusprechen. Politik ist Zusammentreffen von Leuten und Kommunikation, das stimmt. Aber hier geht es doch oft nur darum, gesehen zu werden und ansprechbar zu sein. Und die Triebfeder, überall hinzulaufen, liegt häufig allein darin, dass die Konkurrenz von der anderen Partei ja auch dort ist und man dieser nicht allein das Feld überlassen will.

Wenn uns die aktuelle Krise dazu zwingt, mit weniger von solchen Terminen auszukommen, ist das nur zu begrüßen. Vielleicht merken wir später, dass uns gar nichts gefehlt hat.

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Rundblick: Die Corona-Krise führt der Gesellschaft insgesamt vor Augen, wo die Grenzen sind. Reisen wir zu viel? Ist unsere Mobilität zu ausgeprägt? Sollten wir uns mehr auf die Stärke früherer Generationen besinnen, die oft ihr Leben lang ihr Heimatdorf nicht verlassen haben und in dieser Hinsicht „entschleunigt“ waren?


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Busemann: Als junger Mann in den siebziger Jahren bin ich oft mit dem Rucksack unterwegs gewesen, habe Italien besucht und den Libanon, die USA, den Nahen Osten und Indien. Damals galt ich diesbezüglich in meiner emsländischen Heimat schon als Exot. Aber zu der Zeit lebten noch nicht so viele Menschen auf dem Erdball, es waren vielleicht 2,5 Milliarden, heute sind es 7 Milliarden. Auch die Telekommunikation stand in keinem Vergleich zu heute, aus vielen Ländern konnte man gar nicht nach Hause telefonieren. Heute ist es bei sehr vielen Menschen üblich, dass sie in alle Ecken der Welt reisen, heute verbreitet sich auch jede Nachricht sofort weltweit.

Für mich ist die Corona-Krise genauso ein Warnzeichen, wie es auch die weltweite Klimakrise ist, die jetzt leider wegen der aktuellen Ereignisse an Aufmerksamkeit verliert: Die Art und Weise, wie wir in den reichen Industrienationen leben und handeln, entspricht nicht mehr den Erfordernissen, die für den Schutz des Planeten gelten sollten. Wir müssen unseren Lebensstil wieder ändern. Wir müssen weniger reisen, die Dinge ruhiger und überlegter angehen, uns von den Aufgeregtheiten und der Hektik der Medienwelt nicht treiben lassen. Das fängt an bei bewusster Ernährung, geht über eine neue Bescheidenheit bei der Auswahl der Kleidung hin zum Verbrauch der Rohstoffe, der verringert werden muss.

Wir sollten so leben, dass die Umwelt weniger belastet wird – und dass wir auch weniger Müll produzieren. Die Globalisierung mit ihrer Offenheit und Freiheit hat eben auch eine Kehrseite, das geht bis hin zu der Annahme, dass die Menschheit gegen die verschiedenen Krankheitserreger, die in einer hochzivilisierten Welt vorhanden sind, nicht mehr die ausreichenden Abwehrkräfte entwickeln kann.

Rundblick: Ist eine neue Bescheidenheit nötig?

Busemann: Was nötig ist, ist Demut. Bis vor kurzem glaubten viele bei uns, dass wir stark genug sind und es gegen jede Krankheit sofort ein wirksames Mittel gibt – und dass diese Mittel ständig verfügbar sind. Jetzt merken wir: Diese Vorstellung war offenbar naiv. Wir Menschen sind nicht so stark und unverletzlich, wie wir manchmal erscheinen wollen. Die Deutschen gelten als das Land mit der urlaubs- und reisefreudigsten Bevölkerung. Vielleicht ist es ratsam, dass wir in uns gehen und an diesem Verhalten etwas verändern.