Brexit: Wenn sich London nicht bewegt, drohen neue Zölle
In einer kritischen Phase der Verhandlungen zwischen der EU und der Regierung Großbritanniens über die Folgen des Brexit hat der EU-Abgeordnete Bernd Lange jetzt eine deutliche Mahnung ausgesprochen. Der SPD-Politiker aus der Region Hannover, der im EU-Parlament den Handelsausschuss leitet, sieht eine bedrohliche Situation: „Wenn es zu keiner Verständigung mit dem britischen Premierminister Boris Johnson kommt, und leider sieht es gegenwärtig danach aus, dann steht 2021 die Einführung von Zöllen im Handels mit dem Nachbarland bevor. Das ist zum Nachteil für alle Seiten“, erklärte Lange am Donnerstag im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.
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Spätestens Ende Oktober, also in den nächsten vier Wochen, müsse ein Konzept stehen – denn eine Ratifizierung des EU-Parlaments und des britischen Unterhauses sei dann auch noch erforderlich. Bis Ende 2020 müssten Fakten geschaffen werden. Die Übergangsfrist, in der nach dem Brexit noch die alten Handelsvorschriften Geltung haben, endet definitiv Ende dieses Jahres. „Nach den jüngsten Erklärungen des Premierministers habe ich kaum noch Hoffnungen, dass sich etwas bewegen wird“, betonte Lange.
Sonderkontrollen an irisch-britischer Grenze bereiten Probleme
Die ohnehin schleppend verlaufenden Gespräche zwischen der EU und der Londoner Regierung sind vor wenigen Tagen belastet worden, als Premierminister Boris Johnson erklärt hatte, sich an zentrale Punkte des zwischen EU und seinem Land geschlossenen und bereits ratifizierten Brexit-Vertrages nicht mehr halten zu wollen. Es geht darin vor allem um Zusagen Londons, die ein Unterbinden illegaler Staatshilfen für Unternehmen in Nordirland gewährleisten sollten. Da Irland nach wie vor Teil der EU ist, eine Grenze zwischen Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland aber schon aus historischen Gründen verhindert werden soll, hatte Johnson im geltenden Brexit-Vertrag Sonderkontrollen für britische Waren, die über Nordirland die EU erreichen, zugesagt.
Inzwischen erklärt der Premierminister, das so nicht mehr umsetzen zu wollen. Lange sagt nun, ein Handelsvertrag mit Großbritannien sei nur sinnvoll, wenn eine Wettbewerbsverzerrung durch Subventionen der britischen Regierung ausgeschlossen werde. Es müssten „die Standards Vorbild sein, die auch in der EU gelten“. Dort sind Förderprogramme und regionale Strukturhilfen möglich, nicht aber direkte Zuwendungen an einzelne Firmen.
Ein Scheitern träfe niedersächsische Branchen hart
Das vorrangige Ziel der EU war es nach den Worten von Lange, einen Waren- und Dienstleistungsverkehr mit Großbritannien ohne Zölle und Quoten zu sichern. Dazu müssten die Briten ihre Produkte nach den Regeln des Verbraucherschutzes herstellen, für Finanzdienstleistungen müsse es eine Aufsicht geben. In den vergangenen Monaten seien die Fortschritte in den Gesprächen hier „nur marginal“ geblieben. Sollte eine Einigung fehlschlagen, dürften vor allem zwei Branchen stark betroffen sein – die Fischer und die Automobilzulieferer, beide sehr stark in Niedersachsen vertreten.
Die Briten wollen EU-Fischer den Zugang zu ihren Gewässern untersagen, eng begrenzte Quoten soll es nur für bestimmte Fischarten geben. Das dürfte die niedersächsischen Fischer zurückwerfen, die dann darauf hoffen müssten, dass die EU mit Norwegen über die dortige Ausweitung der Fangrechte verhandelt. Lange sagt, das Verhalten der Briten an dieser Stelle sei kurzsichtig, da Großbritannien die meisten selbst verarbeitenden Fische in die EU exportieren wolle und mit dem derzeitigen Querstellen nur dazu provoziere, dass sich die EU mit hohen Zöllen gegen britische Fischimporte sperren werde. Stark betroffen ist auch die Branche der Automobilzulieferer, 30 Prozent der niedersächsischen Exporte nach Großbritannien beträfen diesen Bereich. „Diese Wertschöpfungsketten werden dann empfindlich gestört“, sagt Lange.
Schon im Vorfeld des Brexit haben sich die Gewichte des niedersächsischen Handels verschoben: 2019 gab es Ausfuhren in einem Volumen von 6,1 Milliarden Euro von Niedersachsen nach Großbritannien – das war Platz vier nach den Niederlanden, Frankreich und den USA. 2016 waren die Briten noch die zweitwichtigsten Handelspartner Niedersachsens.