Heute tagt der Landtag – und diskutiert darüber, wie berechtigt der tiefe Einschnitt in die Grundrechte in Niedersachsen ist. Dazu gehört auch das Verbot von Gottesdiensten, also die Einschränkung der Glaubensfreiheit. Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick äußert sich Ralf Meister, Landesbischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover.

Foto: Landeskirche Hannovers

Rundblick: Wie wird der Verzicht auf die Gottesdienste in Ihrer Kirche diskutiert?

Meister: Der Verzicht auf Gottesdienste in Kirchen war ohne Zweifel ein historischer Einschnitt. Er war alternativlos. Es gab einige kritische Stimmen, aber die große Mehrheit hat die Entscheidung verstanden und mitgetragen. Und in den Kirchengemeinden wurden viele kreative Möglichkeiten entwickelt, um trotzdem zu Hause Gottesdienste und Andachten zu feiern – in TV und Radio, im Internet und den Socialmedia-Kanälen oder auch ganz analog mit Lese-Andachten oder geistlichen Impulsen. Den Gottesdienst mit leiblicher Präsenz ersetzen sie nur teilweise, deshalb bin ich froh, dass wir jetzt darauf zugehen, bald auch wieder Gottesdienste gemeinsam in Kirchen zu feiern.

Ich bin zuversichtlich. Wir werden zeitnah zu Vereinbarungen kommen, die wieder religiöses Leben in Kirchen, Synagogen und Moscheen ermöglichen werden.

Rundblick: Auf Bundesebene reden die Kirchen und Glaubensgemeinschaften mit der Bundesregierung über eine Lockerung der Verbote. Reicht das aus?

Meister: Ich bin zuversichtlich. Wir werden zeitnah zu Vereinbarungen kommen, die wieder religiöses Leben in Kirchen, Synagogen und Moscheen ermöglichen werden. Auf den politischen Ebenen, bei Bund und Ländern, sehe ich eine große Bereitschaft, gemeinsam mit uns verantwortbare Wege dafür zu entwickeln. Der Corona-Virus hat das Zusammenleben in unserer Gesellschaft schon jetzt sehr stark verändert: Je länger die Kontaktverbote dauern, führen sie trotz aller solidarischen Initiativen auch zu Vereinzelung und Vereinsamung.  Einsamkeit wird, vor allem für ältere Menschen, zum Problem. Unsicherheit und Angst nehmen zu. Viele suchen gerade jetzt nach tragenden Traditionen, vertrauten Ritualen und den gewohnten Trostorten – Gottesdienste sind genau das.

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Wichtig sind mir über die Gottesdienste hinaus zwei Dinge: Die Regelungen, die wir für Gottesdiensten in dieser Zeit suchen, sollten künftig auch für Beerdigungen gelten: Es muss unter Wahrung der Abstandsregeln und Einhaltung der hygienischen Vorschriften wieder möglich sein, dass mehr als zehn Menschen an Trauerfeiern teilnehmen können. Die bisherige Beschränkung trifft viele Menschen hart.  Ich hoffe sehr, dass eine verbesserte Form gefunden wird. Und es sollte für Angehörige wieder erlaubt sein, Menschen, die in Senioren- oder Pflegeheimen oder in Behinderteneinrichtungen leben, zu besuchen. Ebenso muss es Angehörigen und Seelsorgern ermöglicht werden, Sterbende in der letzten Lebensphase zu begleiten. Und da sollten auch keine Kosten und Mühen gescheut werden, um Schutzvorkehrungen treffen zu können. Diese Forderung verbinde ich mit meinem höchsten Respekt für die Menschen, die in diesen Einrichtungen ihren aufopferungsvollen Dienst tun.

Die Situation mag regional sehr unterschiedlich sein. Aber klar ist, dass unterschiedliche Szenarien die Glaubwürdigkeit der gesamten Einschränkungen obsolet machen können.

Rundblick: Einige Länder wie Brandenburg, Sachsen oder ab 3. Mai auch Thüringen haben schon beschlossen, Gottesdienste in kleineren Gemeinschaften wieder zuzulassen. Sollte sich Niedersachsen dem jetzt bald auch anschließen?

Meister: Je einheitlicher das Vorgehen ist, umso besser ist das. Die Situation mag regional sehr unterschiedlich sein. Aber klar ist, dass unterschiedliche Szenarien die Glaubwürdigkeit der gesamten Einschränkungen obsolet machen können.  Es darf hier nicht darum gehen, aus dieser Situation politisch Profit zu schlagen, in dem man sich für eine besonders schnelle Lockerung der Beschränkungen einsetzt. Niedersachsen handelt für mich bisher recht besonnen.

Die Vorstellung, dass wir so schnell wie möglich zum alten Leben zurückkehren können, halte ich für eine Illusion.

Rundblick: Wie kann ein Gottesdienst in der Nach-Corona-Zeit aussehen?

Meister: Wir wissen nicht, wann die Nach-Corona-Zeit beginnt. Vermutlich nicht in diesem Jahr. Entscheidend bleibt: Wie können wir Gottesdienste in dieser Übergangszeit so gestalten, dass ein möglichst geringes Risiko der Infektion besteht. Dazu werden ein Mindestabstand gehören und wahrscheinlich Alltags-Masken. Aber dennoch wird eine Gemeinschaftserfahrung, ein Trost, eine Hoffnung in der Liturgie und der Predigt entstehen können.  Vielleicht beginnen wir an einigen Orten eher mit kürzeren Andachten. Eventuell sind es nur musikalische Besinnungen mit wenigen Lesungen, Gebet und kurzer Auslegung und Stille. Wir leben in einer Übergangszeit. Die Vorstellung, dass wir so schnell wie möglich zum alten Leben zurückkehren können, halte ich für eine Illusion. Das „Gewohnte“ wird, selbst wenn es scheinbar so sein sollte wie zuvor, nicht mehr die alte vertraute Sicherheit bieten.


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Rundblick: Was tut das Abstandsgebot nach Ihrer Beobachtung mit den Kirchenbesuchern?

Meister: Für viele Menschen – und da würde ich gar nicht zwischen Kirchenbesuchern und Nicht-Kirchenbesuchern unterscheiden – ist das Abstandsgebot schwer zu ertragen. Wir akzeptieren es, weil wir es müssen. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er lebt in und durch Beziehungen. Handschlag, Umarmung, Berührung und Nähe sind Ausdruck kultureller und sozialer Bedürfnisse.  Ob es längerfristige Wirkungen auf unser Sozialverhalten hat, vermag ich nicht zu sagen. Aber ausschließen würde ich es nicht.

Rundblick: Gibt es politische Fragestellungen, die gegenwärtig in der Corona-Krise in den Hintergrund rücken, von denen Sie aber meinen, dass diese unbedingt jetzt wieder auf die Tagesordnung gehören?

Meister: Es gibt zwei große Themen, die an den Rand gedrückt wurden: Die Lage der Migranten – und zwar nicht nur in Europa – und der Klimawandel. Beide Themen bleiben die Schlüsselherausforderungen für das 21. Jahrhundert. Es könnte sein, je nachdem wie sich die Lage in Afrika weiter entwickelt, dass in der Konsequenz dieser Krise die Migration nicht abnehmen wird. Ich habe den vielleicht etwas zu frommen Wunsch, dass die weltweite Einsicht in die Verletzlichkeit unserer Spezies die Solidarität der Menschheit über die Grenzen aller Nationen und Religionen verstärken könnte. Das bleibt meine tiefe Hoffnung; auch wenn ich nach nüchterner politischer Analyse kein großer Optimist mehr bin.