Darum geht es: Zum Start in das neue Schuljahr gibt es eine Welle der Kritik an Kultusministerin Frauke Heiligenstadt. Landtagsopposition und Verbände attestieren ihr, die Unterrichtsversorgung schönzureden. Heiligenstadt selbst sieht den Pflichtunterricht als gesichert an. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Es ist ein besonderer Start in ein neues Schuljahr, denn er liegt viereinhalb Monate vor der Landtagswahl. Das erklärt auch die aufgeregte Tonalität in den Pressemitteilungen und Stellungnahmen zum Schuljahresbeginn. Schenkt man Landtagsopposition und manchen Verbänden Glauben, stehen die Schulen in Niedersachsen vor dem absoluten Chaos. Unterricht dürfte ab heute demnach so gut wie gar nicht stattfinden, weil ja an allen Ecken und Enden tausende Lehrer fehlen. Auf der anderen Seite argumentiert die Kultusministerin, dass eine Unterrichtsversorgung von 80 Prozent für den Pflichtunterricht ausreiche und dass ein Mini-Projekt mit Mini-Computern an läppischen 30 Grundschulen schon zu einer Digitalisierungsoffensive gehört. Bei den einen geht die Welt unter und bei den anderen die Sonne auf – beide Seite beschreiben nicht die Realität.

https://soundcloud.com/user-385595761/heiligenstadt-wer-behauptet-ich-schwache-gymnasien-verbreitet-fake-news

In der Debatte um die Schulpolitik sind Maß und Mitte verloren gegangen. Die Lehrer-Gewerkschaft GEW attestierte dem CDU-Spitzenkandidaten am Montag fehlenden Verstand, der Philologenverband arbeitet sich auf einer Din A4-Seite an der Kultusministerin ab, die Probleme leugne und sich in ein „Wolkenkuckucksheim“ zurückgezogen habe. Und der Verband der Elternräte der Gymnasien ruft gleich den „Bildungsnotstand“ aus. Offensichtlich sind Verbände und Parteien zum neuen Schuljahr in einen Alarmismus-Wettbewerb eingetreten. Dabei geben sie sich nicht einmal mehr die Mühe, Eltern und Schüler ihre Kritik näher zu erläutern, sondern werfen ebenso wie die Kultusministerin mit Prozentzahlen um sich, die sich im Schulalltag ohnehin kaum nachvollziehen lassen.

https://soundcloud.com/user-385595761/seefried-unterrichtsversorgung-in-den-schulen-ist-dramatisch

Die Bildungspolitik wird in diesen Monaten zwischen zähnefletschenden Funktionären und alarmistischen Bildungspolitikern zerkaut. Dabei wäre es durchaus sinnvoll, die von der CDU angestoßene Diskussion über den Vorrang von Pflichtunterricht zu führen. Was ist nötig und wo hat es in den vergangenen Jahren abseits von Deutsch, Mathe und Biologie Fehlentwicklungen gegeben, die Lehrer mehr Zeit kosten, als es sinnvoll wäre? Das Thema ist hochkomplex, weil Schule heute eben viel komplexer ist als vor Jahrzehnten. Umso mehr wären jetzt Bildungsexperten nötig, die einen solchen Prozess verständlich erklären können.

Fest steht allerdings leider auch, dass die Kultusministerin nicht zu diesem Personenkreis gehört. Nicht nur, dass sie sich dafür bei allen öffentlichen Auftritten zu stark am Fachchinesisch ihres Ministeriums orientiert. Es ist ihr ganz offensichtlich auch nicht gelungen, die Mehrzahl der in der niedersächsischen Bildungspolitik agierenden Protagonisten auch nur im Ansatz für ihre Politik zu gewinnen. Stattdessen überwiegt am Ende der Legislaturperiode der Streit. „Ich möchte gerne fünf Jahre weitermachen“, sagte Heiligenstadt gestern in der Pressekonferenz. Die allgemeine Gemengelage und Tonalität zum letzten Schuljahresbeginn vor der Wahl macht das nicht unbedingt wahrscheinlich.

Bis zum Wahltag gilt allerdings: So schlecht, wie von vielen dargestellt, ist die Lage an den Schulen nicht. Es gibt auch zum Start in dieses Schuljahr viele motivierte Lehrer, die sich auf ihre Schüler freuen. Es gibt viele Schüler, denen die Schule und das Lernen Freude bereitet. Nicht alles ist perfekt. Eine glaubwürdige und ernsthafte Diskussion darüber ist aber wohl erst wieder nach dem 14. Januar 2018 möglich. Die Wahl wird hoffentlich zu einem Druck auf die Reset-Taste in der Bildungspolitik – unabhängig davon, wie sie ausgehen wird.

 

Mail an den Autor dieses Kommentars