Von Isabel Christian

Massenhafte Verstöße gegen Tierschutzrecht, Tuberkulose-Erkrankungen und prekäre Arbeitsverhältnisse unter Leiharbeitern: Die Schlachthof-Branche in Niedersachsen ist seit Monaten mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Ministerpräsident Stephan Weil greift nun selbst ein – und wählt dafür das mildeste Mittel, denn er sucht sich gerade ein sehr positives Beispiel heraus. Mit einem Besuch beim Schlachtbetrieb Böseler-Goldschmaus in Garrel bei Cloppenburg, der als vorbildlich gilt, will er die anderen weniger beispielhaften Schwergewichte der Branche zum Umdenken motivieren.

Ministerpräsident Stephan Weil im Gespräch nach einem Besuch des Schlachtbetriebs Böseler Goldschmaus in Garrel bei Cloppenburg. Foto: Christian

In weiterführenden Gesprächen will er in den kommenden Wochen mit den anderen Großschlachtereien erörtern, warum es in der Branche angeblich nicht anders geht als mit Werksverträgen und Subunternehmern. Denn wenn es Goldschmaus unter den gleichen Wettbewerbsbedingungen gelinge, die prekären Werksverträge für die Stammbelegschaft in Festverträge umzuwandeln und die ehemaligen Leiharbeiter zudem noch in neuen, firmeneigenen Wohnungen unterzubringen, ohne ökonomische Nachteile daraus zu ziehen, dann gebe es Weil zufolge keine Rechtfertigung mehr für die Billig-Produktion. „Auf Basis dieser Gespräche müssen wir dann entscheiden, ob eine gesetzliche Nachschärfung nötig ist.“

Nach Berichten über zum Teil gravierende Tierquälereien waren einige niedersächsische Schlachthöfen in den vergangenen Wochen in der Kritik – Foto: industrieblick

Aus Sicht von Prälat Peter Kossen, der sich seit Jahren intensiv für die Belange der Leiharbeiter in der Fleischbranche einsetzt, wird es letztlich nicht ohne Zwang gehen. „Ich hoffe, dass von diesem Treffen hier ein Druck auf die großen Unternehmen ausgeht. Aber ich glaube, dass sich das Problem letztlich nur durch eine Verschärfung und intensivere Kontrolle lösen lässt.“ Dabei geht es vor allem um den Umstand, dass rund 70 Prozent der in der Schlachthof-Branche Beschäftigten über Werksverträge angestellt sind. „Aber der Großteil wird dauerhaft gebraucht und nicht nur eingesetzt, um Belastungsspitzen abzudecken“, sagt Kossen. Deshalb habe die von den Unternehmen bevorzugte Beschäftigung über den Werks- statt den Stammvertrag rein finanzielle Gründe. Aus seiner Sicht kann die Politik hier auf zwei Wegen regulierend eingreifen. Zum einen mithilfe einer Obergrenze für Leiharbeiter. „Natürlich gibt es immer mal Situationen, in denen man über einen kurzen Zeitraum mehr Personal braucht als vorhanden ist. Und es ist auch sinnvoll, dass das Personal nicht immer gleich festangestellt werden muss. Aber wir reden hier von Dauerzuständen, und die müssen mit einer Obergrenze verhindert werden.“ Ein anderer Weg könne es hingegen sein, die Leiharbeit teurer zu machen als die Festanstellung, damit die Unternehmen nicht mehr Leiharbeiter beschäftigten als sie unbedingt bräuchten. „Dass das funktioniert, kann man am Beispiel Frankreichs sehen“, sagt Kossen.

„Die Kameras überwachen die Beschäftigten, nicht das Tierwohl.

Doch Ministerpräsident Weil will soweit noch nicht gehen. Er hebt stattdessen die Fortschritte hervor, die im Bereich des Arbeitnehmerschutzes schon gemacht worden seien: den Mindestlohn etwa oder die Nachunternehmerhaftung, die sicherstellen soll, dass Schlachthofbetreiber im Falle von Missständen die Schuld nicht auf die Subunternehmer abwälzen können. Auch die von Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) angestoßene Videoüberwachung für mehr Tierwohl in den Schlachthöfen, die heute in der Kabinettssitzung der Landesregierung in eine Bundesratsinitiative gegossen werden soll, sei ein weiterer Schritt. „Doch wir sind noch nicht am Ende des Wegs angekommen“, sagt Weil. Dass sich in der Branche schon etwas verbessert habe, konstatiert auch Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in der Region Oldenburg/Ostfriesland. „Die Arbeitsbelastung ist insgesamt gesunken, und der Vorstoß von Goldschmaus, eigenständig Werksverträge in Eigenbeschäftigung umzuwandeln, zeigt, dass wir mit unserer Forderung recht hatten.“ Doch noch immer fehle die Mitbestimmung, einen Betriebsrat für die Leiharbeiter gebe es auch bei Goldschmaus nicht. Immerhin dürfte seine Gewerkschaft aber hier in der Kantine über faire Arbeitsbedingungen informieren, bei anderen Unternehmen werde das gar nicht auf deren Grundstücken gestattet.

Wenn das Kilo Fleisch nur sechs Cent mehr kostet, lassen sich davon schon vernünftige Arbeitsbedingungen finanzieren.

Von der von Weil gelobten und gestern gleichzeitig von Bernd Althusmann und Dirk Toepffer (beide CDU) geforderten Videoüberwachung hält Brümmer indes nichts. „Die Kameras überwachen die Beschäftigten, nicht das Tierwohl.“ Stattdessen müsse man die Beschäftigten besser ausbilden, besser bezahlen und vernünftig beschäftigen. „Denn die Vorfälle mit Verstößen gegen den Tierschutz seien ausnahmslos dort passiert, wo Menschen prekär beschäftigt seien. „Menschen, die gut behandelt werden, gehen auch gut mit Tieren um.“ Doch auch auf die von der Staatskanzlei als „Vorzeige-Arbeitgeber“ bezeichnete Goldschmaus-Gruppe bleibt nicht frei von Kritik. Sie hatte zu der Zeit, als die Verstöße in einem Schlachthof in Oldenburg dokumentiert wurden, Anteile an dem Unternehmen. Böseler-Goldschmaus-Sprecher Gerald Otto betone, man werde das nun firmenintern aufarbeiten und Konsequenzen ziehen. Eine davon ist die komplette Übernahme des besagten Schlachthofs. Er soll umgebaut und neu strukturiert werden.


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Diskussionen gab es zudem über die Notwendigkeit eines Labels für fair und tierwohlgerecht produzierte Fleischprodukte. Weil hält eine Kennzeichnung für dringend notwendig, allerdings müsse sie für alle Hersteller verpflichtend sein, um dem Kunden tatsächlich eine Orientierung zu geben, ob das Fleisch unter guten, mittleren oder schlechten Bedingungen entstanden sei. „Es nützt nichts, wenn die Bundesregierung ein solches Label auf Freiwilligkeit ausrichtet, denn dann ist es nur eins von zig anderen, die schon jetzt auf der Fleischverpackung den Verbraucher irritieren.“ Goldschmaus-Vertreter Otto stieß sich an der Abstufung, die Weil vorgenommen hatte. „Man darf nicht vergessen, dass der Standard in der Fleischverarbeitung in Deutschland allgemein sehr hoch ist, im Vergleich mit anderen EU-Ländern.“ Das müsse das Label berücksichtigen. Pfarrer Kossen mahnte, dass das Label nicht nur auf Tierwohl ausgerichtet sein dürfe, sondern auch die Arbeitsbedingungen einfließen müssten. „In vielen Betrieben sind gerade die Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeiter mittelalterlich. Als Kunde möchte ich daher erkennen können, ob ein Betrieb seine Angestellten gut behandelt oder nicht.“ NGG-Chef Brümmer ist indes gegen ein neues Kennzeichen. „Das führt nur zu einer weiteren Verlabelung und verwirrt den Verbraucher zusätzlich.“ Stattdessen könne man bessere Arbeitsbedingungen über eine beim Kunden kaum zu spürende Preiserhebung erreichen. „Wenn das Kilo Fleisch nur sechs Cent mehr kostet, lassen sich davon schon vernünftige Arbeitsbedingungen finanzieren.“