Ist Deutschland im Dornröschenschlaf?  Ja, sagt Niedersachsenmetall-Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt. Teilweise, meint der Philosoph Richard David Precht. Eher nicht, sagt der ehemalige US-amerikanische Botschafter John C. Kornblum. Die Frage stand am Abend im Mittelpunkt des Herrenhäuser Wirtschaftsforums.

„Deutschland ist das viertgrößte Industrieland der Welt. Also irgendetwas muss das Land ja richtig machen“, sagt Kornblum im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Von Dornröschenschlaf will er deshalb nicht sprechen. Er habe aber durchaus das Gefühl, dass man – teilweise auch in der deutschen Wirtschaft – nicht versteht, dass ein großer Schritt nach vorne nötig sei. „Deutschland braucht einen Weckruf. Die wunderbaren Produkte und das sehr stabile System werden in dieser ganz neuen Ära voraussichtlich nicht unverändert überleben können. Und es ist besser, die Änderungen selbst vorzunehmen, bevor man dazu gezwungen wird, sagt der ehemalige US-Botschafter.

In der deutschen Politik fehlen ihm die Weckrufer. Es gebe so gut wie keine richtige politische Diskussion, wundert sich Kornblum, der seit so vielen Jahren in Deutschland lebt, immer noch über dieses Land. Es gebe lediglich Konkurrenzdiskussionen zwischen Politikern, die das Bestehende besser machen wollten als der jeweils andere. Die dringenden Fragen würden allerdings nie angesprochen. Typisch für Deutschland sei, dass Änderungen erst nach einem sehr langsamen Prozess des Verdauens kämen. „Das hat bisher immer funktioniert, aber wir bräuchten inzwischen mehr Diskussionen und Auseinandersetzungen mit den Alternativen.“

https://soundcloud.com/user-385595761/precht-kornblum-ist-deutschland-im-dornroschenschlaf

Während Kornblum von einer ganz neuen Ära spricht, warnt der Philosoph Richard David Precht vor gewaltigen Revolutionen. Das spürten die Leute und sie spürten auch, dass die Themen nicht angesprochen würden. Precht meint die Themen, die sich aus der Digitalisierung ergeben. „Für eine Zeit des Maschinenlernens, in denen sehr viele algorhitmisierbare Berufe wegfallen werden, sind wir in keiner Form vorbereitet – das betrifft allen voran die Sozialsysteme“, warnt Precht im Rundblick-Gespräch. Wenn verstärkt Maschinen statt Menschen eingestellt würden, müsse man bereits heute planen, wie eine Alternative zum aktuellen Umlagesystem aussehen könne.

Werden denn überhaupt so viele Arbeitsplätze wegfallen, wie Precht vermutet? Der Philosoph ist überzeugt, dass Deutschland zugleich vor Fachkräftemangel und Massenarbeitslosigkeit steht. Es gebe zwar Studien, die belegten, dass in den vergangenen 25 Jahren durch Roboter keine Arbeitsplätze weggefallen seien. „Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass das in den nächsten 25 Jahren nicht passiert, halte ich aber nicht für solide Wissenschaft. Wir können keine Kurven aus der Vergangenheit in die Zukunft hochrechnen“, so Precht. Die Zukunft lasse sich empirisch nicht prognostizieren. „Sonst könnten Sie sagen: Ich habe in den vergangenen 25 Jahren keinen Unfall gebaut, also wird in den nächsten 25 Jahren auch nichts passieren.“

Gäste des Wirtschaftsforums waren unter anderem Margret Suckale, Richard David Precht und John C. Kornblum – Foto: Niedersachsenmetall

Kornblum schaut erstaunt auf die politische Diskurskultur, Precht wundert sich über die politische Sprachlosigkeit, Schmidt ist von einer Politik überrascht, die künftige Entwicklungen ausblendet. Die Rentenpolitik sei für ihn nicht nachvollziehbar, sagt der Verbands-Hauptgeschäftsführer vor den mehr als 300 Gästen des Wirtschaftsforums. „Wenn die Lebenserwartung seit 1980 alle vier bis fünf Jahre kontinuierlich um ein Jahr steigt, dann kann doch die Lebensarbeitszeit nicht gleichzeitig sinken.“ Schmidt spricht von einer Wohlstandsillusion. „Wir sind uns ein Stück weit selbst genug“, befürchtet er. Während in Deutschland in einem wahren Kraftakt die Wertgrenze für geringfügige Wirtschaftsgüter zum ersten Mal seit 1963 von 400 auf 800 Euro verdoppelt worden sei, tobe um uns herum ein Steuerwettbewerb. Die USA hätten die Körperschaftssteuer von 35 auf 21 Prozent gesenkt, Frankreich von 34 auf 25, Großbritannien von 19 auf 17 Prozent. Es fehle an Durchschlagskraft und an Problembewusstsein, obwohl das Land tektonische Verschiebungen erlebe, was die Wachstumspole der Weltwirtschaft betreffe. „Es kann einem Angst und Bange werden.“

Facebook

Mit dem Laden des Beitrags akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Facebook.
Mehr erfahren

Beitrag laden

Wo bleibt das Positive? Die Spitzenmanagerin Margret Suckale meint, die Wirtschaft sehe in der Digitalisierung viele Vorteile und rechne mit enormen Chancen. „Menschen werden nicht einfach ersetzt. Sie werden eine wesentlich bessere Unterstützung bekommen“, sagt Suckale dem Rundblick. Es sei zwar schwierig, dass man nicht genau wisse, wie die Digitalisierung wirklich aussehen werde. Dennoch warnt Suckale vor Schwarzseherei. Man sei zwar nicht auf der gleichen Höhe wie China. Es werde aber auch oft verkannt, dass es in Deutschland viele sogenannte Hidden Champions gebe, die in Nischenmärkten einen enormen Wettbewerbsvorteil hätten.

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Precht glaubt dagegen, dass es einen Ruck geben muss. Braucht es vielleicht zuerst eine Krise, bis Deutschland aus dem Dornröschenschlaf erwacht? „Wir kriegen die Krise. Die muss ich gar nicht herbeireden“, ist Precht überzeugt. (MB.)