Berlin und Brüssel: Es wird der Sommer der Entscheidung
Häufig bietet die parlamentarische Sommerpause Gelegenheit zum Durchatmen – der politische Betrieb wird heruntergefahren, der Streit wird gedämpfter, wichtige Personalentscheidungen werden vertagt. Vor zwei Jahren wartete die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten, die mit ihrem Übertritt zur CDU ein politisches Beben auslöste, artig bis Anfang August, als alle wieder aus dem Urlaub zurückgekehrt waren. Doch diesmal spricht einiges dafür, dass Politikern, Journalisten und anderen Politikinteressierten die verdiente Urlaubsruhe nicht gegönnt wird. Es stehen mehrere heikle Entscheidungen an, von denen einige große Folgewirkungen auf Niedersachsen haben werden – und die wohl keinen Aufschub dulden.
Die Röschen-Frage: Wird Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der kommenden Woche auf Anhieb im EU-Parlament eine Mehrheit bekommen und dann Kommissionspräsidentin werden? Die Frage scheint derzeit offen. Drei Szenarien sind denkbar. Im ersten Fall würde sie gewählt werden, dann müsste zumindest der Platz der Verteidigungsministerin im Kabinett neu besetzt werden.
Der Blick richtet sich auf die Niedersachsen-CDU, die aus Proporzgründen darauf beharren kann, einen Personalvorschlag zu unterbreiten. Wer könnte das sein? David McAllister oder gar Bernd Althusmann – oder jemand anders aus der Landespartei? Sollten zwei oder drei Positionen im Kabinett wechseln, dürfte wahrscheinlich ein niedersächsischer Christdemokrat unter den auserwählten neuen Bundesministern sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidung Folgewirkungen auf die Landesregierung haben wird, ist hoch.
Im zweiten Fall würde von der Leyen nicht gewählt, sondern jemand anders. Dann wäre die Kanzlerin beschädigt, die ohnehin instabile Bundesregierung könnte zerbrechen, vorgezogene Bundestagsneuwahlen könnten angesetzt werden. Das wäre ein Vorgang mit hoher Bedeutung für die politischen Akteure in Hannover. Würde Stephan Weil dann SPD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl werden – oder wenigstens erst einmal Parteichef? Im dritten Fall würde bei Fehlen einer Mehrheit für von der Leyen die Entscheidung um ein paar Wochen vertagt werden. Das indes ließe sich nicht unendlich verlängern, da jede Verzögerung die Handlungsfähigkeit der EU-Gremien schwächt und auch die Stabilität der Bundesregierung in Berlin.
Die Führungsfrage in der SPD: Bis Anfang September müssen sich diejenigen aus der SPD melden, die Interesse am Vorsitz oder am Vorsitz innerhalb eines Zweiergespanns haben. Bisher ist die Situation so, dass über mehrere Niedersachsen geredet wird: Generalsekretär Lars Klingbeil (41) gilt als Vertreter der nächsten Generation, Innenminister Boris Pistorius (59) hat eine Bewerbung für sich nicht ausgeschlossen, Ministerpräsident Stephan Weil (60) wird von Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann direkt vorgeschlagen: Für ihn sei klar, sagte Oppermann unlängst, dass ein Teil einer „Doppelspitze“ der SPD aus Niedersachsen kommen werde – und sein Favorit dafür sei Weil.
Andere wie Hubertus Heil (Peine) und Matthias Miersch (Laatzen) sind derzeit nicht im Gespräch. Aus SPD-Kreisen heißt es, dass die Landespartei bis zum Ende der parlamentarischen Sommerpause ihr Personaltableau klären wird. Das heißt: Dann soll klar sein, dass nur ein Niedersachse vorgeschlagen wird – und auch, wer dies sein soll. Wenn es auf Weil hinauslaufen sollte, wird sofort eine Debatte darüber entbrennen, ob der Ministerpräsident mittelfristig einen Wechsel in die Bundespolitik plant – und die Nachfolge in Hannover geregelt werden müsste. Sollte Weil seinen Hut für den SPD-Vorsitz in den Ring werfen, ist schwer vorstellbar, dass er damit sofort einen Verzicht auf eine Kandidatur für den Bundestag verbinden würde.
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Die Nord/LB-Frage: Voller Spannung nach Brüssel blicken die niedersächsischen Politiker nicht nur, weil dort wichtige Personalentscheidungen mit Folgewirkungen fallen. Auch eine wichtige Sachfrage muss geklärt werden, deren Folgewirkungen noch größer sein können. Die EU-Kommission wird eine wettbewerbsrechtliche Prüfung des staatlichen Engagements in der Nord/LB vornehmen – also die Frage beantworten, ob die geplante 1,5-Milliarden-Investition des Landes Niedersachsen in die Landesbank (zuzüglich von 800 Millionen Euro Garantien) eine „rentierliche“ Investition ist. Nur wenn dies bejaht wird, lässt sich der Verdacht einer verbotenen Beihilfe nach EU-Wettbewerbsregeln verneinen.
„Rentierlich“ heißt aber, dass eine bestimmte Rendite – im Gespräch sind acht Prozent – nach einer gewissen Zeit erreicht werden muss. Nun könnte die EU-Kommission Auflagen erteilen, damit dieses Ziel tatsächlich erreicht wird. Diese könnten in einem weiteren Arbeitsplatzabbau bei der Nord/LB bestehen, also einer weiteren Schrumpfung der Landesbank. Zusätzlich Auflagen hätten den Nachteil, dass die neuen Eigentümer der Nord/LB (Länder Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Sparkassen in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern) dann ihre Verträge neu aushandeln müssten.
Der Plan, die „Braunschweiger Landessparkasse“ mit ihren 1000 Beschäftigten auszugliedern und zu verselbständigen, könnte dann plötzlich eine neue Aktualität und Dringlichkeit bekommen. Auf jeden Fall ist auch dieses Thema geeignet, die Ruhe und Beschaulichkeit einer parlamentarischen Sommerpause zu zerstören. Sollte Brüssel das Nord/LB-Konzept verwerfen, wäre nicht nur Finanzminister Reinhold Hilbers politisch beschädigt, sondern Ministerpräsident Stephan Weil ebenso. (kw)