Bayerische Ankerzentren als Vorbild? Vieles davon gibt es in Niedersachsen bereits
Von Isabel Christian
Das Wort weckt die Vorstellung von Sicherheit, von Ankommen, von Zur-Ruhe-kommen. Zur Ruhe kommt die Diskussion um die Ankerzentren in Bayern jedoch auch anderthalb Monate nach ihrer Einrichtung noch nicht. Und auch mit Ankommen haben diese Zentren wenig zu tun. Für die meisten Flüchtlinge sind sie die Endstation in Deutschland, hier leben sie, bis ihr Asylverfahren abgelehnt wird. Und wer einen positiven Bescheid bekommt, für den beginnt erst nach dem Anker-Zentrum das eigentliche Ankommen in Deutschland. Als neuartige, effizientere Art der Flüchtlingsunterbringung preist Bayern sein Modell der Ankerzentren an. Kein Verteilen auf die Kommunen mehr, kein monatelanges Warten auf das Ergebnis des Asylantrags, kein Hin und Her mehr bei der Abschiebung.
In den anderen Bundesländern, vor allem Niedersachsen, beäugt man die Zentren dagegen kritisch. Doch was ist nun eigentlich so besonders an diesen Ankerzentren? Was unterscheidet sie vom niedersächsischen Weg der Flüchtlingsunterbringung? Das wollten die Mitglieder des niedersächsischen Innenausschusses wissen und haben das Ankerzentrum bei Manching in Oberbayern besucht. Die Bilanz fiel ernüchternd aus: Vieles, was die Bayern als neuartig verkünden, gibt es in Niedersachsen schon längst. Nur ein Detail könnte vorbildlich werden.
Der Tag ist kühl, nur eine Handvoll der momentan 460 Bewohner hält sich in den Straßen des ehemaligen Kasernengeländes auf. Und auch sie sind plötzlich verschwunden. Wegen der Explosion einer Erdölraffinerie in der Nähe habe man sie gebeten, zu ihrem Schutz vor Giftstoffen in ihren Zimmern zu bleiben, heißt es von der Zentrumsleitung. Doch einige niedersächsische Abgeordnete wollen bei ihrem Besuch hier nicht so recht glauben, dass das der einzige Grund ist. „Als wir ankamen, wollte ein Flüchtling zu uns kommen, weil er wissen wollte, was wir hier machen. Die Sicherheitsleute haben ihn sofort weggeschickt“, erzählt der Grünen-Abgeordnete Belit Onay. Skepsis weckt vor allem der Umstand, dass statt der Flüchtlinge immer mehr Sicherheitspersonal auftaucht. Ein Gerücht macht die Runde: Weil die Polizei bei dem Großbrand gebunden ist, sei das Zentrum nicht so bewacht wie sonst. Spreche es sich herum, dass sich Politiker das Zentrum genau jetzt anschauten, könnte es einen Aufstand geben. Einen Aufstand in einer Einrichtung, die als beste Lösung für die Unterbringung von Flüchtlingen angepriesen wird?
Bisher hatte Bayern die Flüchtlinge mit Bleibeperspektive auf die Kommunen verteilt. Wer wenig Chancen auf Asyl hatte, wurde bis zur Abschiebung in einem der drei Transitzentren in Bamberg, Regensburg und Manching bei Ingolstadt untergebracht. Auch in Niedersachsen werden die Flüchtlinge so verteilt. In den ersten Wochen werden sie in den Ankunftszentren Bramsche und Bad Fallingbostel registriert, danach kommen sie je nach ihrer Perspektive entweder in die Kommunen oder in eine der fünf Unterkünfte der Landesaufnahmebehörde (LAB). Doch während in Niedersachsen LAB, Arbeitsagentur und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schon seit 2015 eng zusammenarbeiten, waren sie in Bayern bisher zumindest räumlich getrennt.
„Mit den Ankerzentren setzen wir jetzt das um, was uns die vergangenen drei Jahre Erfahrung gelehrt haben: Damit der Integrationsprozess schneller starten kann, müssen die Asylverfahren schneller entschieden werden und dazu braucht man möglichst alle Beteiligten an einem Ort“, hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann beim vorangegangen Gespräch mit den niedersächsischen Abgeordneten gesagt. Konkret heißt das: Jetzt werden alle Flüchtlinge in den Ankerzentren untergebracht, bis über ihr Asylbegehren entschieden worden ist. „Vorher hatten wir hauptsächlich Menschen aus der Ukraine, dem Westbalkan, Nigeria und Afghanistan hier, jetzt sind es auch Moldawier und Syrer“, sagt Julia Göhner-Pentenrieder von der Verwaltungsregierung Oberbayern. Von staatlicher Seite aus finden sich nun auch das BAMF, die Arbeitsagentur, das neu gegründete Landesamt für Rückführungen und eine Außenstelle des Verwaltungsgerichts München in den Ankerzentren. Das BAMF übernimmt die unabhängige Asylberatung, das Landesamt berät zur freiwilligen Rückkehr. Beides sind Neuerungen, die es in Niedersachsen bereits gibt.
Nur das Verwaltungsgericht hat Bayern Niedersachsen voraus. „Aber hier sind wir auch in Gesprächen, ob wir das brauchen und wie sich das umsetzen lässt“, sagt Friedhelm Meyer, Abteilungsleiter für Migration im niedersächsischen Innenministerium. Der Nutzen erschließt sich für viele der niedersächsischen Landtagsabgeordneten allerdings auf den zweiten Blick nicht unbedingt. Denn die Außenstelle des bayerischen Gerichts nimmt nur die Einsprüche gegen die Entscheidungen des BAMF entgegen, bearbeitet werden sie weiterhin in München. „Das ist im Prinzip nicht mehr als ein besserer Briefkasten“, sagt der SPD-Abgeordnete Deniz Kurku.
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Mehr Anklang findet dagegen Innenminister Herrmanns Ankündigung, Bayern würde in den kommenden Jahren mehr als 150 neue Verwaltungsrichter einstellen, um die Asylverfahren schneller zu bearbeiten und andere Verwaltungsverfahren nicht auf die lange Bank schieben zu müssen. „Dadurch dürfte es nur noch ein paar Monate dauern, bis die Verfahren entschieden sind. Deshalb halte ich es für unproblematisch, die Flüchtlinge bis dahin alle in den Ankerzentren unterzubringen und nicht zu verteilen“, sagt Sebastian Lechner, innenpolitischer Sprecher der Niedersachsen-CDU.
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Für Belit Onay dagegen liegen die Probleme des Zentrums in der Umsetzung. Das Ankerzentrum Manching liegt weitab von Wohnvierteln, die Flüchtlinge können die Einrichtung zwar verlassen, doch in der Umgebung treffen sie fast nie Einheimische. Anders als in Niedersachsen bekommen die Flüchtlinge ein Dauerticket für den Nahverkehr, das ihnen allerdings vom Taschengeld abgezogen wird. 90 Euro bekommen sie so monatlich, ein Besuch in der nächstgelegenen Stadt wird dadurch wenig reizvoll.
Auch im Zentrum selbst gibt es nicht viel zu tun. Die Kinder und Jugendlichen müssen sich zwar alle von Lehrern unterrichten lassen, denn die Schulpflicht gilt auch für sie. Und abends versucht man, die Langeweile mit Spieleabenden und anderen Programmen zu vertreiben. Doch weil die Flüchtlinge bekocht werden und auch sonst wenige Aufgaben selbst übernehmen dürfen, ist ein selbstbestimmter Alltag kaum möglich. Deshalb wundert es Onay nicht, als eine Mitarbeiterin der Caritas davon spricht, wie viele der Bewohner aufgrund der Perspektivlosigkeit und der momentanen Verweildauer von bis zu zweieinhalb Jahren an Depressionen leiden. „Die Ankerzentren belegen, dass sich Bayern immer noch nur mit der Erstaufnahme und der möglichst schnellen Abschiebung beschäftigt, obwohl Innenminister Herrmann und die Grenzpolizei zugeben, dass kaum noch Flüchtlinge kommen“, sagt Onay. Einen Plan für die Integration dagegen suche man in den ganzen Konzepten vergeblich. „Das ist kein Modell für Niedersachsen.“