Bahnstrecken sollen reaktiviert werden – aber es stockt noch
Von Martin Brüning
Alle reden von der Verkehrswende, aber der Richtungswechsel kommt nur millimeterweise voran, vielleicht liegt es auch an überkomplexen Regelungen wie denen im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz – kurz GVFG -, die zum Ausbau der Schiene in Niedersachsen bisher wenig beitragen haben. Nun soll alles besser werden, der Bund hat durch eine Änderung des Gesetzes ermöglicht, dass in den Ländern auch die Reaktivierung von Strecken gefördert werden kann.
Richard Eckermann, im Wirtschaftsministerium zuständig für die Schiene und den Öffentlichen Personennahverkehr, sprach kürzlich im Wirtschaftsausschuss des Landtags von einer sehr erfreulichen Entwicklung. Positiv sei auch, dass es keine 50-Millionen-Euro-Grenze mehr gibt. Diese habe in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass Niedersachsen vom GVFG-Topf schätzungsweise mit nur unter einem Prozent profitieren konnte. Laut Eckermann waren Städte mit teuren U-Bahn-Systemen im Vorteil, was in Niedersachsen Hannover betrifft. Ballungszentren in Hessen, Bayern oder Nordrhein-Westfalen profitierten dagegen in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich von den Fördergeldern. Jetzt gilt eine 30-Millionen-Grenze, für die Reaktivierung von Schienen sogar nur eine 10-Millionen-Grenze, die Investitionen können zudem zu 90 Prozent vom Bund gefördert werden, eine Riesenchance für die Kommunen.
Schulz-Hendel fordert ICE-Tempo statt Bummelzug
Geht es nach dem Grünen-Verkehrspolitiker Detlev Schulz-Hendel, muss das Wirtschaftsministerium jetzt schleunigst Fahrt aufnehmen. Seiner Meinung nach ist ICE-Tempo nötig, statt der groß-koalitionären Reisegeschwindigkeit eines Bummelzugs. Der Landtagsabgeordnete schaut dazu besorgt in andere Länder, die seiner Meinung nach teilweise schon weiter sind. So habe das Land Hessen mit den Verkehrsverbünden bereits Machbarkeitsstudien für zu reaktivierende Strecken entwickelt, zwei Projekte seien dort besonders weit: die Lumdatalbahn in Mittelhessen, deren Strecke etwa 20 Kilometer südlich von Marburg verläuft, und die Horlofftalbahn rund 30 Kilometer nördlich von Frankfurt.
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In Hessen liefen bereits die Vorbereitungen für die Anmeldung des Vorhabens. In Baden-Württemberg hat man derweil rund 15 Strecken im Auge, die für eine Förderung in Frage kommen könnten. „Ich hätte mir gewünscht, , dass die Landesregierung mit der Fortsetzung der Wiederinbetriebnahme von stillgelegten Bahnstrecken konzeptionell einen Schritt weiter ist“, sagt Schulz-Hendel, der im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick eine zu passive Rolle des Wirtschaftsministeriums beklagt. Der Grünen-Politiker fordert das Land dazu auf, die Kommunen bei der Planung von Wiederinbetriebnahmen besser zu unterstützen.
Auch andere Bundesländer sind betroffen
Und die Hilfe ist dringend nötig, denn das sogenannte standardisierte Bewertungsverfahren des Bundes bringt auch die Vertreter anderer Bundesländer an den Rand der Verzweiflung. So heißt es aus Baden-Württemberg, dass durch das Verfahren ausgerechnet Strecken auf dem Land möglicherweise nicht über den erforderlichen Kosten-Nutzen-Faktor von 1,0 kommen. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann will darauf drängen, dass Klimafreundlichkeit in der Bewertung stärker gewichtet wird. Über eine Unterstützung aus Niedersachsen würde man sich dabei freuen, heißt es im Süden. Auch in Niedersachsen sieht man das Verfahren als unglückliche Hürde. Dadurch hatten Eckermann zufolge eine Reihe von Vorhaben, die politisch erwünscht waren, keine Chance auf Umsetzung.
Abweichungen bei der standardisierten Bewertung sind teilweise zwar möglich, dann gibt es aber deutlich weniger Fördergeld. Eine Änderung auf Bundesebene ist zumindest kurzfristig nicht in Sicht. Das Bewertungsverfahren könnte zwar überarbeitet werden, laut Eckermann wäre dies aber ein mehrjähriger Prozess. „Die Zukunftsaussichten sind relativ gut, durch die Klimadebatte wird auch der politische Druck steigen. Aber das wird schlichtweg noch dauern“, prognostizierte Eckermann. „Man sollte jetzt aber keine Projekte, die schon einmal gescheitert sind, in dieses Verfahren zwingen und Hoffnungen wecken, wenn dann hinterher herauskommt, dass es so nicht geht.“
Zwei Projekte auf dem Weg zur Förderung
Eckermann berichtete im Ausschuss über zwei Projekte, die sich auf den komplizierten Weg einer möglichen Förderung begeben. So habe der Landkreis Lüneburg schon den Auftrag an ein Büro in Hannover vergeben, das eine standardisierte Bewertung für die Strecke Lüneburg-Bleckede erarbeiten soll. Voraussichtlich vor den Sommerferien solle es hier ein erstes Auftaktgespräch geben. Etwas weiter sei man schon bei der Verlängerung der Strecke Bad Bentheim in die Niederlande, es habe bereits erste Gespräche gegeben. „Hier laufen die Prozesse, die Ergebnisse der Bewertung bleiben abzuwarten. Wenn sie positiv ausfallen, werden wir sofort beim Bund vorstellig“, sagte der Fachmann aus dem Ministerium.
Für den CDU-Abgeordnete Karsten Heineking muss die Landesregierung „kein großes Konzept erarbeiten“. Viel wichtiger sei es, dass sie die einzelnen Projekte, die gerade Fahrt aufnehmen, unterstützt, damit diese parallel umgesetzt werden könnten, sagte Heineking im Ausschuss. Schulz-Hendel plädiert dagegen dafür, den Lenkungsausschuss, in dem während der rot-grünen Regierungszeit Experten aus Fraktionen, Behörden und Verbänden die mögliche Reaktivierung von Bahnstrecken begleiteten, wieder einzurichten. Ein Antrag, der vor fast zwei Jahren dazu von den Grünen im Landtag eingebracht wurde, liegt auf dem parlamentarischen Abstellgleis. Eckermann warnte im Ausschuss allerdings davor zu glauben, dass mit den künftigen Förderregeln alles viel einfach wird. Die Hoffnung, dass jetzt alles ganz einfach sein werde, entpuppe sich in der Praxis als Trugschluss. „Der Teufel steckt im Detail.“