Die Erwartungshaltung war so groß, dass zur Sitzung des Landeswahlausschusses am Freitag gleich beide Lager mit führenden Leuten ins Innenministerium nach Hannover gekommen waren. Sowohl die Vertreter des Vorstandes der AfD, angeführt von Parteichef Armin Paul Hampel und seinen Vizes Jörn König und Wilhelm von Gottberg, als auch Wortführer der AfD-Rebellen wollten hautnah die Entscheidung erfahren. Würde die AfD nach monatelangen Querelen nun mit einer Landesliste zur Bundestagswahl zugelassen werden? Als dann nach einer guten Stunde das Resultat feststand, muss Hampel das als große Erleichterung empfunden haben: Trotz vieler Hinweise auf Mängel, Verfahrensfehler und Unzulänglichkeiten sieht Landeswahlleiterin Ulrike Sachs keinen Grund, der AfD die Wahlteilnahme zu versagen. Einstimmig folgt ihr daraufhin der siebenköpfige Landeswahlausschuss, dem Vertreter von CDU, SPD, Grünen und Linken, sowie zwei Juristen angehören.

Tagte im Innenministerium: Der Landeswahlausschuss
– Foto: KW

Damit steht nun fest: Zur Bundestagswahl am 24. September tritt die AfD in Niedersachsen an. Das gilt zudem noch für 17 andere Parteien – zunächst die etablierten CDU und SPD, Grüne, FDP und Linke, dann die Piraten, die NPD, die Tierschutzpartei, die Freien Wähler und die MLPD, die im linksextremen Lager mit der DKP um Stimmen buhlt. Es folgen „Demokratie in Bewegung“, die „Deutsche Mitte“, die Ökologische Demokratische Partei, die Satiregruppe „Partei“ und die Vegetarier-Partei „V-Partei“. Drei Gruppierungen fallen durch, weil sie als Neulinge je 2000 Unterstützerunterschriften hätten liefern müssen, dies aber nicht taten: die Hip-Hop-Partei „Die Urbane“, das christlich orientierte „Bündnis C“  und die „Menschliche Welt“, die „für das Wohl und Glücklichsein aller“ eintritt. Schlechte Zeiten also für die „Menschliche Welt“, ein guter Tag hingegen für die AfD. Zwei andere Gruppierungen, die Liberal-Konservativen Reformer (LKR) des früheren AfD-Chefs Bernd Lucke und eine Organisation namens „Partei der Vernunft“ verzichteten auf die Wahlteilnahme, obwohl sie das ursprünglich angezeigt hatten.

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Ausführlich beschäftigte sich Landeswahlleiterin Sachs in der Wahlausschusssitzung mit den Einwänden, die gegen die AfD-Liste fast ausschließlich von internen Kritikern vorgetragen wurden. Sachs betonte, dass solche Mängel nur dann relevant werden, wenn sie gegen das Wahlrecht verstoßen und von der AfD-Landesspitze mutwillig oder grob fahrlässig herbeigeführt worden waren. Dafür indes sah sie in keinem Fall einen Beleg. Viel rankt dabei um die Aufstellungsversammlung zur Landesliste Anfang Februar. Dass die Ladungsfrist um einen Tag verpasst wurde, ist laut Sachs für das Wahlrecht nicht relevant. Dass angeblich 170 Mails mit der Einladung an AfD-Mitglieder nicht zustellbar waren, habe die AfD-Spitze mit Verweis auf dann folgende schriftliche Einladungen an mindestens 150 Personen zurückgewiesen. Das habe auch für die Einladung zur Fortsetzung der Versammlung am folgenden Wochenende gegolten. Die Parteiführung habe auch versichert, die Neumitglieder, die in der Kartei noch nicht erfasst waren, gesondert angeschrieben zu haben. „Es mag sein, dass manche AfD-Mitglieder keine Einladung erhalten haben. Aber es ist nicht erkennbar, dass Fehler auf eine vorsätzliche oder grob fahrlässige organisatorische Regelung schließen lassen“, sagt Sachs.

Das gelte auch für den Vorwurf, man habe von einigen Kandidaten vorab ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt, obwohl dies auch hätte nachgeliefert werden können. Ob deshalb tatsächlich einige AfD-Mitglieder von einer Kandidatur Abstand genommen hätten, könne man nur vermuten, nicht wissen. „Es gibt so viele Gründe für eine Nicht-Kandidatur“, sagte Sachs. Und dass Hampel in der Wahlversammlung gegen manche Kandidaten Stellung bezogen habe, sie sogar „verächtlich gemacht“ habe, wie Kritiker rügen, sei auch nicht unbedingt relevant für die Billigung der Liste. Nur eine „sittenwidrige Wahlbeeinflussung“ könne zur Nicht-Zulassung der Partei führen, und dafür sehe sie keine Beweise: „Nicht jedes unfaire Verhalten überschreitet die Grenze zur Sittenwidrigkeit.“ Schließlich hat Sachs auch keine Belege für den Hinweis erfahren, auch Nicht-Mitglieder der AfD Niedersachsen hätten an der Listenwahl teilgenommen. Mehrfach habe die AfD-Geschäftsstelle im Februar vor Beginn der Versammlung jeden Teilnehmer überprüft – nach der Kartei, mit Abgleich des Personalausweises, mit einem Code, strengen Einlasskontrollen und sogar einem Bändchen um den Arm. Ihre eigenen Stichprobenkontrollen, fügte Sachs hinzu, hätten hier keine Hinweise auf die Beteiligung von parteifremden Personen gegeben.

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Als nach Sachs‘ Vortrag der Landeswahlausschuss einstimmig die AfD-Zulassung zur Landtagswahl billigte, zeigte sich AfD-Landeschef Armin Paul Hampel zufrieden. Dies sei „das, was wir erwartet haben“, sagte er, „nun können wir endlich mit dem Wahlkampf loslegen“. Eine Möglichkeit der AfD-Rebellen, gegen die Entscheidung des Landeswahlausschusses vorzugehen, gibt es nicht – lediglich eine nicht zugelassene Partei hätte durch ihre eigenen Vertrauensleute binnen drei Tagen Beschwerde beim Bundeswahlausschuss vorlegen können. Da die AfD aber zugelassen wurde, ist dieser Weg versperrt. Der einzige Weg wäre nun, nach der Bundestagswahl diese wegen der behaupteten Mängel anzufechten. Nicht zur Sprache kam in der Landeswahlausschusssitzung der Wirbel, den im Vorfeld der Entscheidung zwei offensichtlich gefälschte, von AfD-Generalsekretär Jens Kestner verbreitete Schreiben mit dem Aufdruck der Landeswahlleiterin ausgelöst hatten. Erst nach diesem Fauxpas hatte die AfD, sehr spät, ihre Landesliste bei Sachs eingereicht – wie sich jetzt herausstellt gerade noch rechtzeitig, um auf mehrere formelle Einwände und Rügen zu reagieren und die Landeswahlleiterin milde zu stimmen. Die AfD steht nach dieser Entscheidung nun vor neuen Weichenstellungen. Am 5. August soll in Walsrode die Landesliste für die Landtagswahl aufgestellt werden, und mit Spannung wird erwartet, ob das Hampel-Lager hier wieder – wie bei der Bundestagsliste – seine Leute durchdrückt oder schon im Vorfeld einen Kompromiss mit den internen Kritikern versucht. Der  zweite Weg wäre für Hampel ein unerwarteter Schritt und wird deshalb für unwahrscheinlich gehalten.

In der Sitzung des Landeswahlausschusses gab es noch eine kurze Irritation bei einer Partei, die eigentlich für eine straffe und fehlerfreie Organisation bekannt ist – die FDP. Für die Kandidatin Nicole Bracht-Bendt auf Platz 29 der Liste, dem allerletzten Platz, fehlten einige nötige Unterlagen. Also wurde die Kandidatin, einstimmig beschlossen vom Landeswahlausschuss, von der Liste gestrichen. Der FDP-Vertrauensmann, Roland Zielke, zeigte sich verdutzt und erklärte in der Sitzung, zu diesem Vorgang auch nichts sagen zu können. Der kleine Fehler bei der FDP war nun die größte Überraschung des Tages, bei dem vorher so viel Aufmerksamkeit auf der AfD gelegen hatte. Eine Zwischenruferin in der Sitzung des Wahlausschusses, an der viele Vertreter von kleinen Parteien als Zuhörer teilgenommen hatten, brachte ihren Kommentar zum langen Hin und Her um die AfD auf den Punkt: „Viel Lärm um nichts!“ (KW)