Antisemitismus-Vorwurf: Fehlende Sensibilität
Darum geht es: Die Caritas in Hildesheim hat in der Service- und Beratungsstelle gegen Radikalisierung einen Mitarbeiter eingestellt, der zuvor im Zusammenhang mit Antisemitismus-Vorwürfen an der HAWK aufgefallen war. Ein Kommentar vor Martin Brüning.
Im Westen gibt es einen „größeren Plan“ gegen den Iran, der von „deutschen Staatsmedien“ unterstützt wird. Dies war gestern auf der fragwürdigen russischen Propaganda-Internetseite „Russia Today Deutsch“ zu lesen. Wenn ich diesen Artikel unkommentiert auf meinem privaten Facebook-Profil teile, gebe ich dann den Anstoß für eine kritische Debatte oder bin ich Teil der Weltverschwörungsgemeinschaft? Ein Mitarbeiter der Hildesheimer Beratungsstelle veröffentlichte vor mehreren Jahren Artikel mit Boykottaufrufen gegen Israel oder Bilder mit Apple-Symbolen, Hakenkreuzen und Davidsternen. Ist er damit ein Antisemit oder wollte er wirklich, wie er selbst sagte, „einen Anstoß zu kritischem Denken“ geben?
https://soundcloud.com/user-385595761/ausgerechnet-demokratie-beratungsstelle-in-hildesheim-unter-antisemitismus-verdacht
Könnte man die Facebook-Veröffentlichungen des Mitarbeiters mit sehr viel gutem Willen – und davon bräuchte man in diesem Fall eine Menge – noch als jugendliche Naivität abtun, so gilt dies nicht für die Bewertung der Caritas in Hildesheim. Sie macht erstaunlicherweise gerade denselben Fehler wie die HAWK in der Antisemitismus-Affäre. Auch dort ging es am Ende nicht mehr allein um das Problem selbst, sondern um den Umgang damit. Wer in den Bildern nur eine „misslungene Politsatire“, aber keine „antisemitisch intendierten Äußerungen“ erkennt, lässt jegliches Fingerspitzengefühl bei dem Thema vermissen. Das Veröffentlichen von höchst fragwürdigen und antisemitischen Bildern und Inhalten gilt bei der Hildesheimer Caritas als „laxer Umgang mit Facebook“.
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Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob der Mitarbeiter nach dem Fall an der HAWK eine zweite Chance verdient hat. Man kann darüber sprechen, ob er sich die damals auf Facebook geteilten Bilder und Artikel wirklich nicht zu eigen macht. Man könnte darüber hinwegsehen, dass die Caritas bei der Einstellung die Hintergründe des Bewerbers offensichtlich nicht genau geprüft hat, obwohl dessen Name innerhalb der HAWK-Berichterstattung sogar in den Medien aufgetaucht war. Aber es lässt sich nicht darüber diskutieren, wie die auf Facebook veröffentlichten Bilder und Artikel zu bewerten sind. Diese waren antisemitisch, und wer dies negiert und als „misslungene Politsatire“ kleinredet, der begibt sich in diesem Land auf einen gefährlichen Weg.
https://soundcloud.com/user-385595761/hawk-gutachten-bescheinigt-antisemitismus
Der SPD-Abgeordnete Ulf Prange hat recht, wenn er die Bilder als indiskutabel bewertet und kritisiert, dass mit den Veröffentlichungen Grenzen überschritten wurden. So klare Worte würde man sich auch von der Hildesheimer Caritas wünschen. Denn immer wieder folgt auf antisemitische Vorfälle eine „Alles halb so schlimm“-Haltung. Wir erleben eine Zeit, in der zwei Entwicklungen in entgegengesetzte Richtungen laufen. Während Antisemitismus wieder zunimmt und manchmal nur mit der Vokabel der Israel-Kritik getarnt wird, verkommt er in der Politik immer mehr zu einem Thema für Sonntagsreden. Aber Haltungslosigkeit ist in dieser Frage indiskutabel.
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