Angriff mit angezogener Handbremse: CDU muss regieren – und gleichzeitig opponieren
Der Spagat fällt Bernd Althusmann nicht leicht: Einerseits ist er als Wirtschaftsminister ein Teil der Regierung, die von Ministerpräsident Stephan Weil geführt wird. Andererseits möchte er Weil ablösen mit dem mehr oder weniger offen ausgesprochenen Argument, dass dieser mit bald zehn Jahren Amtszeit ja verbraucht wirke. Das ruft nach einer Oppositionshaltung, die ihm das Regierungsamt eigentlich verbietet – noch dazu in Krisenzeiten, in denen parteipolitisches Hickhack kaum honoriert wird. So in diesen Tagen in der sich zuspitzenden Energiekrise.
Manchmal merkt man Althusmann an, wie schwer dieses strategische Dilemma auf ihm lastet. Als stark, zupackend, entschluss- und reformfreudig präsentiert ihn die CDU im Wahlkampf. Und doch gibt es hin und wieder Auftritte, in denen er unvorbereitet wirkt oder nicht den richtigen Ton trifft. Das macht ihn menschlich und zeigt zugleich, dass auch er nicht perfekt ist. Wenn man mit Christdemokraten über die Schwächen des Spitzenkandidaten spricht, erwähnt man dort gern Momente, in denen auch der so populäre Ministerpräsident Weil bei Auftritten den Faden verliert oder Pointen setzt, die beim Publikum nur mäßigen Applaus finden. Auch Weil ist nicht vollkommen – und bei beiden sieht man, dass das Werben um Stimmen in Krisenzeiten alles andere als einfach ist. Die Unbeschwertheit, die eigentlich zum Wahlkampf dazugehört, will sich nicht recht einstellen.
Diese Situation verdeckt auch die spannende Frage, wie es denn eigentlich nach der Wahl weitergehen wird. Die CDU, so scheint es, setzt nun voll und ganz auf Althusmann. Überlegungen, ein Schatten-Team aufzustellen – wie es in der Endphase des Wahlkampfs 2017 eher halbherzig und nicht besonders entschlossen geschah -, gibt es nicht. Aus Althusmanns Umgebung heißt es, das sei nicht vorgesehen. Diese Strategie hat zwei Vorteile. Zum einen muss Althusmann niemanden übergehen, der sich eigentlich berufen fühlt, den er selbst aber nicht fördern möchte. Zum anderen wird das Scheinwerferlicht umso stärker auf die Nummer eins ausgerichtet. Ob die Wahl am Ende Erfolg hat oder nicht, hängt damit entscheidend von Bernd Althusmann ab. Gewinnt er, was angesichts der bundespolitischen Großwetterlage durchaus möglich erscheint, so ist es vor allem sein Sieg. Verliert er, ist es zuallererst seine Niederlage – und die seines Generalsekretärs Sebastian Lechner.
Aber wie würde es weitergehen, wenn es eine herbe Niederlage gäbe und Althusmann von der politischen Bildfläche abtreten würde? In der CDU hat sich die Zahl der Machtzentren ausgedünnt. Früher waren es die acht Bezirkschefs der CDU, die in der Partei die Geschicke geregelt haben – vor allem die Hannoveraner und Osnabrück-Emsländer, die Oldenburger, die Lüneburger und die vom Bezirk Elbe-Weser (Stade/Cuxhaven). Doch die herbe Niederlage bei der Bundestagswahl hat die meisten von ihnen geschwächt. Als einflussreich können noch die Bezirkschefs Hendrik Hoppenstedt (Hannover), Mathias Middelberg (Osnabrück) und Silvia Breher (Oldenburg) gelten, mit Abstrichen Uwe Schünemann (Hildesheim). Die Landesgruppe im Bundestag, zu CDU-Regierungszeiten mit etlichen Parlamentarischen Staatssekretären ausgestattet, hat auch an Gewicht verloren.
Es gibt nun die Landesgeschäftsstelle mit Althusmann und Generalsekretär Lechner, einem Vertreter der nächsten CDU-Generation. Dann darf die CDU-Landtagsfraktion unter dem selbstbewusst agierenden Dirk Toepffer nicht fehlen. Es gibt einige Stimmen in der CDU, die in Toepffers Auftreten ein Konkurrenzverhältnis zu Althusmann erkennen wollen, setzt der Fraktionschef doch eigene, großstädtisch-liberale Akzente – so sein Ja zum Tempolimit oder sein Nein zur Renaissance der Kernenergie. Das kann, meinen die einen, den Boden für ein mögliches schwarz-grünes Bündnis bereiten, das als einzige wirklich reale Machtoption der Niedersachsen-CDU gilt. Andere, die sich in dieser Phase einen noch dominanteren Althusmann wünschen, sehen Toepffers Auftreten als Störmanöver oder sogar als Illoyalität. Das verkennt aber, dass zwischen beiden Politikern ein enges Vertrauensverhältnis besteht und sie durchaus mit verteilten Rollen agieren.
Dass Toepffer im Fall einer krassen Niederlage Althusmanns bei der Landtagswahl die neue Leitfigur der Niedersachsen-CDU werden könnte, ist aus einem Grund eher unwahrscheinlich: Die bisherige Landtagsfraktion gibt es nach der Landtagswahl nicht mehr, es kommt dann vor allem auf die mittlere Parteiebene an, also die Bezirksvorsitzenden – und auf die Netzwerke der Verbände wie Frauen-Union und Junge Union. Hätte die Gruppe der Männer „50 plus“, die derzeit in der CDU noch mächtig sind, dann die Chance zum Aufstieg? Zu nennen sind die Minister Björn Thümler und Reinhold Hilbers und die Abgeordneten Ulf Thiele, Uwe Schünemann und Jens Nacke. Sie sind im Grunde mit Althusmann und Toepffer groß geworden.
Viel spräche wohl eher dafür, dass ein Neuanfang mit einem radikalen Generationswechsel verknüpft sein wird. Die Riege der 30- und 40-Jährigen drängt nach vorn. Es sind überwiegend Männer wie Lechner, der JU-Bundesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban, aber auch der JU-Landesvorsitzende Christian Fühner. Bei ihnen ist ein Netzwerk erkennbar. Die CDU-Frauen, die spätestens seit Mareike Wulfs Wahl zur Landes-Chefin der Frauen-Union zunehmend strategisch besser organisiert sind, dürften wegen der Listen-Quotierung in der nächsten CDU-Landtagsfraktion eine deutlich größere Rolle spielen als heute. Aber ob sie schon ein Machtfaktor sind in einer CDU, die sich im schlimmsten aller Fälle neu aufstellen muss, ist eher ungewiss. Sie dürften eher Mitgestalter als Organisatoren einer Neuaufstellung werden.
So ist die Lage bei der SPD
Was die SPD angeht, ist die Lage etwas übersichtlicher: Im Fall einer drastischen Niederlage von Stephan Weil bei der Landtagswahl würde sich die Partei vermutlich um Umweltminister Olaf Lies scharen, vielleicht auch um Sozialministerin Daniela Behrens. Beide sind jetzt schon in der Startrampe für höhere Aufgaben. Beide wären dann aber wohl vorübergehende Festlegungen, denn auch hier rührt sich die Generation der 40-Jährigen – etwa mit Grant Hendrik Tonne und Wiard Siebels in der Landtagsfraktion, mit weiteren jüngeren Abgeordneten oder auch mit Politikern, die derzeit als Kommunalbeamte ihr Profil schärfen wollen wie Braunschweigs Oberbürgermeister Thorsten Kornblum und Hannovers Regionspräsident Steffen Krach.
Dieser Artikel erschien am 06.07.2022 in der Ausgabe #126.
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