Andretta ist ein Vorbild – und das kann Wirkung zeigen
Darum geht es: Landtagspräsidentin Gabriele Andretta hat ihr Programm für die kommenden Jahre vorgestellt. Das Jahr 2018 steht im Zeichen „Starker Frauen“. Auf diese Weise sollen mehr Frauen für eine aktive Rolle in der Politik begeistert werden. Ein Kommentar von Isabel Christian.
Ihre Wahl hätte nicht symbolträchtiger ausfallen können. Kurz vor Beginn des Jubiläums zum hundertsten Jahrestag des Frauenwahlrechts zieht zum ersten Mal eine Frau in das Büro des Landtagspräsidenten ein. Die Kür der SPD-Abgeordneten Gabriele Andretta zum Gesicht des Landtags wird damit in diesem Jahr ein Beispiel dafür sein, wie viel seit der Einführung des Wahlrechts für Frauen erreicht worden ist. Gleichzeitig wird sie aber auch ein Beispiel für den steinigen Weg sein, wie Andretta sagt, den die Gleichberechtigung in der Politik noch gehen muss. Denn Andretta ist eine von nur noch 38 Frauen im niedersächsischen Parlament, die zusammen mit 99 männlichen Abgeordneten die Bürger vertritt. Für Andretta ist ihre Wahl zur Landtagspräsidentin deshalb auch mit einer besonderen Aufgabe verbunden: wieder mehr Frauen für die Politik zu interessieren. Und das nicht nur als passive Wählerinnen, sondern vor allem als aktive Kandidatinnen für politische Ämter. Fraglich ist allerdings, wie weit ihr Einfluss in dieser Frage reicht.
Denn die Entscheidung für eine Karriere in der Politik wird bei den meisten Frauen von mehr Faktoren bestimmt als bei Männern. In der Regel sind es die Frauen, die sich neben ihrem Beruf noch primär um den Haushalt und die Kindererziehung kümmern. Ein politisches Amt, sei es nun ein Ehrenamt im Ortsrat oder das Landtagsmandat, ist mit viel Zeitaufwand verbunden. Um diese Zeit zu haben, müssen bei den anderen alltäglichen Aufgaben Abstriche gemacht werden. Das dürfte Frauen nach wie vor schwerer fallen als Männern. Deshalb wäre es ein Gewinn, wenn Landtagspräsidentin Andretta im Jahr der „Starken Frauen“ nicht nur die Debatte über ein paritätisches Wahlsystem und Frauenquoten wieder zurück auf die Agenda holte, sondern auch einen Austausch anstoßen würde: Wie kann der Staat Frauen – und auch Männer – entlasten, damit diese die Zeit für ein alle Seiten zufriedenstellendes politisches Engagement finden können? Das beginnt bei der Kinderbetreuung und geht über Arbeitsbedingungen bis hin zu den Anforderungen des politischen Amtes selbst.
Allerdings gibt es noch einen anderen Punkt, der Frauen bei der Entscheidung für ein politisches Amt stark beeinflusst. Viele Frauen scheuen sich vor der Übernahme von Posten in der Politik, weil sie es sich nicht zutrauen, sich zwischen den männlichen Kollegen zu behaupten. Sie befürchten eine Ellenbogen-Mentalität und vermissen weibliche Vorbilder, an deren Karrierewegen sie sich orientieren können. Und hier zeigt sich, dass Andretta genau die richtige Person ist, um Frauen für die Politik zu motivieren. Sie hat ein politisches Spitzenamt erreicht, ohne sich stets in den Vordergrund zu drängen und betont dominant aufzutreten. Sie ist ein Beispiel dafür, dass auch die leisen, nachdenklichen Töne im politischen Betrieb Gehör finden können und die Vermittlerrolle, in denen Frauen sich meist wohler fühlen, nicht das ewige Abseits bedeuten muss.
Landtagspräsidentin Andretta ist eines der Vorbilder, die die Politik dringend braucht. Deshalb ist es nicht nur konsequent, sondern auch ihre Pflicht, diese Rolle zu nutzen. Ihre bisherigen Ansätze, Frauen für die Politik zu motivieren, sind zudem vielversprechend. Dass ein Parité-Gesetz in Niedersachsen kommt, wonach Frauen und Männer zu gleichen Teilen auf den Wahllisten stehen müssen, ist unwahrscheinlich und auch unter Frauen stark umstritten. Doch allein dass sie es wieder zum Thema macht, nachdem der Landesfrauenrat mit einer Petition im vergangenen Jahr gescheitert ist, ist ein deutliches Zeichen: Die Frage nach einer Quote in der Politik ist noch lange nicht ausdiskutiert. Auch wenn manche Männer, etwa in der CDU, dies meinen.