Althusmann redet sich vor den CDU-Anhängern richtig in Rage
Der Song ist so eindringlich, dass er sich schon nach ein paar Minuten im Gehirn des Hörers verankert. „Wir haben was großes vor“ singt ein junger dunkelhäutiger Sänger – und auf den Bildern sieht man kurze Zeit auch Bernd Althusmann, wie er sich im Takt rhythmisch bewegt. Die CDU spielt dieses Lied, das extra für den Landtagswahlkampf komponiert wurde, gleich mehrfach bei der großen Auftaktveranstaltung für die heiße Phase der Auseinandersetzung, gestern Abend in Hildesheim. Am Anfang wird zunächst nur ein Video gezeigt. Als sich dann aber die „Halle 39“ immer mehr füllt und zum Höhepunkt die Kanzlerin gemeinsam mit dem Spitzenkandidaten Bernd Althusmann auf der Bühne steht, tritt der Sänger Jeffrey Söderblom auch selbst auf – und bringt die Schar der CDU-Anhänger, rund 2000 sind gekommen, richtig zum Johlen. Nicht alle, aber doch einen großen Teil von ihnen. Dieses Lied ist der Weg, endlich die bislang so oft vermisste Begeisterung bei der Parteibasis zu erzeugen. Das zuweilen als steril und leidenschaftslos gerügte Auftreten Althusmanns soll so mit Herzblut gefüllt werden. Es gelingt, wenigstens an diesem Abend.
Dabei sind die Bedingungen alles andere als großartig. Just in dem Augenblick, da die Christdemokraten in Niedersachsen eine prächtige Wahlkampflaune nötig hätten, lastet ein unerwartet mageres Ergebnis der Bundestagswahl auf der Partei. Und in Berlin brennt die Hütte. Wenige Stunden, bevor Merkel das erste Mal nach dem mäßigen Ergebnis der Bundestagswahl vor einer größeren Gruppe von Anhängern auftritt, sind in der Bundeshauptstadt epochale Entscheidungen gefallen. Wolfgang Schäuble, viele Jahre einer der mächtigsten CDU-Politiker, wird für das Amt des Bundestagspräsidenten nominiert, er verliert das mächtige Finanzministerium. Andrea Nahles, die SPD-Linke, ist an die Spitze der SPD-Fraktion gewählt worden und hat der CDU einen unerbittlich harten Kampf angekündigt. Und Horst Seehofer, der CSU-Vorsitzende, gerät intern in Bayern immer stärker unter Druck. Rufe nach seiner Ablösung werden laut. Aber Merkel, die ewige Kanzlerin, wirkt von diesen Stürmen im Zentrum der Macht immer noch relativ unbeeindruckt. Immerhin, in Hildesheim wirkt sie leicht angeschlagen. Aber sie spielt an diesem Tag nur die zweite Rolle.
Es ist 19.15 Uhr, als die Kanzlerin und Althusmann im Saal erscheinen. Kräftiger Applaus erklingt, zwar kein frenetischer Jubel, aber doch große Zustimmung. In ihrer unnachahmlich bescheidenen Art erklärt Merkel, wieso sie Bernd Althusmann unterstützt: „Wir haben ja in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gesehen, wie gut den Menschen der Wechsel getan hat. Wieso soll Niedersachsen nicht auch ein bisschen was Schönes haben?“ Beifall erklingt. Als Merkel dann noch sagt „Niedersachsen eben, sturmfest und erdverwachsen“, verstärkt sich der Applaus schlagartig – für wenige Sekunden. Es dauert an diesem Abend seine Zeit, bis die Stimmung in Hildesheim sich richtig aufwärmt. Erst im Laufe der Rede von Althusmann, der als erster spricht, bessert sich die Wahlkampflaune der Besucher. Er rackert sich ab am Mikrophon, redet schnell und laut, manchmal überschlägt sich seine Stimme. Kämpferischer denn je wirkt er, richtig laut kann er werden – und schaltet stärker als zuvor auf Angriff. Die Sozialdemokraten hätten sich nach der Bundestagswahl „aus dem Staub gemacht“, sie seien „selbstgefällig“ und verdienten bei der Landtagwahl „kein Mitleid“, die „letzte Hoffnung Rot-Rot-Grün“ dürfe sich für Stephan Weil nicht erfüllen, in der Krise von Volkswagen müsse sich der Ministerpräsident endlich „schützend vor die Mitarbeiter stellen“. Den Grünen, aus deren Reihen der Ruf nach dem „Entsorgen der Schwarzen“ laut geworden sei, wirft Althusmann „Gauland-Rhetorik“ vor, die es „unmöglich macht, mit ihnen zu koalieren“.
Immer stärker redet der CDU-Spitzenkandidat sich in Rage. „Ist irgendjemand im Saal, der Rot-Grün in Niedersachsen fortsetzen möchte? Ich kenne niemanden“, ruft er. Althusmann geißelt „chaotische Verhältnisse an den Schulen“ wegen des Unterrichtsausfalls, verspricht den Erhalt der bestehenden Förderschulen, wettert gegen die von Rot-Grün geplante Lockerung des Vermummungsverbotes bei Demonstrationen, wirbt für die konsequente Abschiebung ausländischer Gewalttäter und plädiert für eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte. Zum Ende hin kommt noch die Agrarpolitik dran – und das Thema Wolf. Das Tier zu „entnehmen“, wie der Abschuss von den Grünen verniedlichend genannt werde, wirke irritierend – auch auf den Wolf selbst. „Wenn das Tier zur Gefahr für Nutztierhalter und Menschen wird, wird er künftig auch abgeschossen“, ruft Althusmann in den Saal – und der Beifall wird kräftiger.
Nach dem Spitzenkandidaten redet die Kanzlerin, warnt vor Rot-Rot-Grün und davor, bei der Beschreibung von Missständen in der Bundesrepublik auch zu übertreiben. „Manchmal kriegt man den Eindruck, dass es in Deutschland durch jedes Schuldach regnet – so ist es aber nun auch nicht“, sagt sie. Für Niedersachsen wünscht sich Merkel, „dass dieses wunderschöne Land endlich wieder gut regiert wird.“ So endet die Veranstaltung nach mehr als drei Stunden mit der Nationalhymne. Ein Jubelfest war es nicht, das wäre wohl zu viel verlangt. Aber was noch etwas unterkühlt begonnen hat, ist zum Ende immerhin wohl temperiert. (kw)