Darum geht es: Niedersachsens neuem Wirtschaftsminister Bernd Althusmann dauert die Planung von Großprojekten zu lange. Auch bei der IG BCE sieht man einen großen Reformbedarf in Deutschland. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Forderungen nach Reformen wirken in diesen Zeiten etwas deplatziert. Deutschland geht es gut, die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Dennoch legten in der vergangenen Woche sowohl der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, als auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann den Finger in die Wunde. Vassiliadis forderte eine Frischzellenkur für den Industriestandort. Er nahm auch das Verbandsklagerecht ins Visier. Es sei nicht gut, daraus ein Business zu machen, Fortschritt zu verhindern, sagte Vassiliadis. Auch Althusmann hält die Planungszeiten bei großen Infrastrukturprojekten für inakzeptabel. „Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass wir uns mit dem eigenen Planungsrecht so viele Fesseln anlegen, dass Planungen für viele Infrastrukturprojekte zum Teil Jahrzehnte dauern, bis die Baumaßnahme überhaupt beginnt“, sagte Althusmann im Podcast des Politikjournals Rundblick.

Nicht der Bürger entscheidet, sondern das Bundesverwaltungsgericht

Der Ausbau zahlreicher Autobahnen, die Elbvertiefung, die Friesenbrücke: wer als Journalist in Niedersachsen in seinem Volontariat mit diesen Themen zu tun hat, kann damit rechnen, dass er nach 15 bis 20 Jahren im Beruf noch immer über diese Themen berichten kann. Denn das alternde Deutschland ist nicht nur satt, skeptisch und veränderungsunwillig geworden. Es hat sich auch selbst Strukturen geschaffen, die jegliche Veränderung über Jahre hinweg zunächst einmal verhindern können. So werden Großprojekte zunächst einmal lange in der Öffentlichkeit diskutiert und danach demokratisch im Parlament verabschiedet. Das bedeutet aber nicht, dass es mit der konkreten Planung und Umsetzung losgehen kann. Denn dann beginnt erst einmal der Klageweg und die Jahre gehen ins Land. Das Verbandsklagerecht hat dazu geführt, dass über große Projekte der Zukunft nicht mehr die Bürger entscheiden, sondern das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. „Wir sehen uns vor Gericht“ ist in diesem Land keine Drohung mehr, sondern bei Infrastrukturmaßnahme automatisch einkalkulierte Realität.

Im überbürokratisierten Deutschland dauert alles lange

Aber auch ohne Klage ist bei jedem neuen Großprojekt Ausdauer gefragt. Das Nadelöhr bei der Umsetzung der Projekte des Bundesverkehrswegeplans 2030 seien nicht mehr die Finanzen, sondern die Planungen, sagt Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in der vergangenen Legislaturperiode. Neue Straßen, neue Schienen, neue Breitbandkabel – im überbürokratisierten Deutschland dauert alles lange. Früher lag es am Geld, heute liegt es an der Vorlaufzeit. Im Mai vergangenen Jahres präsentierte Dobrindt Vorschläge für ein Planungsbeschleunigungsgesetz. Union und SPD wollen an dem Plan eines solchen Gesetzes festhalten. „Wir werden ein Planungs- und Baubeschleunigungsgesetz verabschieden. Damit wollen wir deutliche Verbesserungen und noch mehr Dynamik in den Bereichen Verkehr, Infrastruktur, Energie und Wohnen erreichen“, heißt es im Sondierungspapier.

Es ist höchste Zeit, dass sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene etwas passiert. Dafür braucht es zunächst einmal eine Beschleunigung der Planungsbeschleunigung. Es ist wie auf der Autobahnauffahrt: Wer auf dem Beschleunigungsstreifen bremst, kommt nicht vorwärts, sondern riskiert einen Unfall.

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