„Alles dauert ewig“: Unternehmer stöhnen im Wahljahr über Digitales und Bürokratie
Acht Monate vor der Landtagswahl hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) bei den niedersächsischen Unternehmen „nach dem Puls gefühlt“. Mit einer Gesamtnote von 2,6 wird der Wirtschaftsstandort Niedersachsen von 990 teilnehmenden Betrieben aller Größenordnungen und Branchen insgesamt als „solide“ bewertet. „Grundsätzlich gibt es von uns ein: Daumen hoch“, sagte IHKN-Präsident Andreas Kirschenmann zu den Ergebnissen der Umfrage: „Die überwiegend gute Gesamtbeurteilung sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei zahlreichen der Standortfaktoren Handlungsbedarf besteht.“ Die Unternehmen sind nur mit sechs von 18 Standortfaktoren mehrheitlich zufrieden. Gerade bei den vier Kriterien, die aus Sicht der Firmen besonders wichtig sind, überwiegt die Unzufriedenheit: Internetversorgung, Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Geschwindigkeit von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie Wirtschaftsfreundlichkeit von Politik und Verwaltung.
Rückblickend bewerten 41 Prozent der Unternehmen die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Niedersachsen seit 2011 als eher positiv. Zwei Prozent sogar als sehr positiv. „Das ist der guten Politik der letzten Jahre geschuldet. Viele Akteure haben erkannt, dass ein Land nur funktioniert, wenn es auch der Wirtschaft gut geht“, sagte Kirschenmann. Allerdings haben 43 Prozent der Unternehmen keine Verbesserung festgestellt. 14 Prozent sagen, dass der Standort nachgelassen hat. „Damit Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, investieren oder sich neu ansiedeln, muss die Standortentwicklung deutlich anziehen“, forderte der IHKN-Präsident.
Der Handlungsbedarf sei umso größer, da die Firmen weiterhin unter den Sekundäreffekten der Corona-Pandemie leiden: Liquiditätsprobleme, Störungen der Lieferkette und gestiegene Einkaufspreise. „Auch die Frachtraten sind auf einem Rekordniveau, was sich irgendwann in den Produktpreisen widerspiegeln muss“, berichtete Kirschenmann aus eigener Erfahrung. Der Chef der Lüneburger Handelskammer ist Geschäftsführer des Küchengeräteherstellers Gastroback in Hollenstedt (Kreis Harburg).
Internet und Mobilfunk sind die wichtigsten Baustellen
Die wichtigste Baustelle aus Sicht der Wirtschaft ist die Breitband- und Mobilfunkanbindung. Für 96,8 Prozent der Unternehmen ist das Thema wichtig, aber die Zufriedenheit liegt bei minus 52,5 Prozent. „Ohne leistungsfähige Verkehrsträger und Datennetze fällt Niedersachsen als Wirtschaftsstandort zurück. Die Unternehmen benötigen sowohl gigabitfähige Kabelnetze als auch Mobilfunknetze des neuesten Standards“, sagte IHKN-Hauptgeschäftsführerin Birgit Stehl. Von der Landesregierung forderte sie, den Landesanteil am geförderten Glasfaserausbau von 25 auf 40 Prozent zu steigern und den Mobilfunkausbau in der Fläche sowie entlang von Verkehrsstraßen voranzutreiben. Außerdem müsse der Aufwand für Baufirmen reduziert werden.
81,8 Prozent der Firmen sind mit Bürokratie unzufrieden
Die niedersächsischen Unternehmen sind mit der Bürokratie überhaupt sehr unzufrieden. 81,8 Prozent bemängeln das Tempo bei Planungs- und Genehmigungsverfahren. 72,2 Prozent kritisieren den Fortschritt beim Ausbau der digitalen Verwaltung. „Alles dauert ewig. Als Wirtschaftsmann ist das schwer auszuhalten“, stöhnte Kirschenmann. Die Bundesrepublik sei total überreguliert. „Deutschland klebt fest und wir kommen bei wirklich keinem Thema mit Speed weiter. Wir brauchen einen Weg zwischen langsam und China“, sagte der Unternehmer. „Für die Unternehmen bedeutet jeder bürokratische Aufwand weniger Zeit für das Kerngeschäft“, betonte IHKN-Hauptgeschäftsführerin Stehl. Die von der Landesregierung eingerichtete Clearingstelle, die bei Gesetzgebungsverfahren die Bürokratielasten für den Mittelstand prüft, ist für sie ein „Anfang, um hier zu Verbesserungen zu kommen“. Stehl vermisst jedoch ein systematisches und regelmäßiges Bürokratie-Monitoring in Niedersachsen, mit dem Vorschriften abgebaut werden könnten.
Fachkräftemangel betrifft 77,1 Prozent der Betriebe
Sehr große Sorgen bereitet den Unternehmen auch der Fachkräftemangel. 77,1 Prozent der Betriebe sind mit dem Angebot an Arbeitskräften unzufrieden. Das Angebot an Auszubildenden bemängeln 74,1 Prozent. Das hängt offenbar auch mit der Qualität der Lernumgebung zusammen: Mit der Ausstattung und Digitalisierung der Schulen sind 78,7 Prozent der Firmen unzufrieden. „Der Auftrag an dieser Stelle ist klar: Die Lernumgebung in den niedersächsischen Schulen muss dem technischen und digitalen Fortschritt Rechnung tragen“, sagte Stehl. Die IHKN-Hauptgeschäftsführerin kündigte basierend auf den Umfrageergebnissen ein gemeinsames Positionspapier der sieben niedersächsischen Handelskammern an, das in diesem Sommer veröffentlicht werden soll.
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