Nachdem Niedersachsens Initiative für einen Aufschub des Stichtags bei der betäubungslosen Ferkelkastration im Bundesrat gescheitert ist, bemüht sich Agrarministerin Barbara Otte-Kinast nun um Schadensbegrenzung. Am 8. Oktober will sie sich mit Vertretern von Schweinezuchtbetrieben, Schlachtereien, Tierschutz und Handel zusammensetzen und über Konzepte sprechen, wie das Verbot der betäubungslosen Kastration, das am 1. Januar 2019 wirksam wird, in seinen Folgen für die niedersächsische Schweinemast abgemildert werden kann. Allerdings rechnet die Ministerin mit einem steigenden Höfesterben aufgrund des neuen Gesetzes. Denn vor allem kleine Betriebe würden es sich nicht leisten können, die nötigen Impfungen oder die Betäubung durch den Tierarzt zu bezahlen, um weiterhin das Fleisch männlicher Schweine anbieten zu können. „Ich habe mit den Kirchen Kontakt aufgenommen und sie bereiten sich darauf vor, hier mehr psychologische Hilfe zu geben“, sagte Otte-Kinast gestern im Landwirtschaftsausschuss. Otte-Kinast hatte mit Unterstützung von Bayern und Nordrhein-Westfalen versucht, den Stichtag für das Verbot der betäubungslosen Kastration mittels einer Bundesratsinitiative hinauszuzögern, denn aus der Branche war das Signal gekommen, dass man längst noch nicht bereit für die Umsetzung sei. Allerdings fand die Bundesratsinitiative keine Mehrheit. Otte-Kinast kann nun nur noch darauf hoffen, dass der Bundestag in seiner Sitzung am 9. Oktober das Thema auf die Tagesordnung hebt und zu einer anderen Entscheidung als der Bundesrat kommt.


Lesen Sie auch:

Ferkelkastration: Land bemüht sich um Bundesrats-Kompromiss

Aufschub bei der Ferkelkastration? Das wäre die falsche Lösung


Für die Schweinehaltung in Niedersachsen wird mittlerweile an einem „Plan B“ gearbeitet. Dafür will Otte-Kinast mehrere Wege in Betracht ziehen. „Wichtig ist etwa zu klären, wie es gelingt, die unkastrierten, in ihrem Wesen aggressiveren Schweine vernünftig aufzuziehen und wie Eberfleisch jetzt vermarktet werden kann“, sagt sie. Dafür müsse allerdings der Handel Zugeständnisse machen. „Dass das geht, zeigt zum Beispiel Spanien. Iberico-Schinken von unkastrierten Ebern ist auch außerhalb des Landes sehr gefragt.“ Bisher lehnen viele Handelsketten das Fleisch unkastrierter Eber ab, weil es in Einzelfällen beim Braten einen starken Eigengeruch entwickeln kann. Auch Finanzhilfen will Otte-Kinast in Betracht ziehen. Hierfür müssten aber zunächst konkrete Projektpläne auf dem Tisch liegen. „Wenn wir Geld dafür in die Hand nehmen, muss es bedarfsgerecht ausgegeben werden, alles andere ist Augenwischerei“, sagte sie. Damit erteilte sie dem Vorschlag der Grünen-Abgeordneten Miriam Staudte eine Absage, die vorschlug, die 100.000 Euro, die bis Ende des Jahres im Haushalt für Tierschutz nicht ausgegeben werden, pauschal für die Folgen des Kastrationsgesetzes zu nutzen.

Ebenfalls nicht praktikabel nannte Otte-Kinast die Idee des FDP-Abgeordneten Hermann Grupe, der vorschlug, den sogenannten „vierten Weg“ in Niedersachsen als Pilotprojekt zu etablieren. Diese von Landwirten und auch Tierärzten geforderte Lösung sieht vor, dass die Schweinehalter ihre Tiere vor der Kastration selbst lokal betäuben und das nicht einem Tierarzt überlassen müssen. Eine Methode, die etwa Dänemark anwendet. „Wir können nach Dänemark fahren und uns dort über Vor- und Nachteile des ,vierten Wegs‘ informieren. Die deutschen Arznei- und Tierschutzgesetze geben aber in ihrer jetzigen Form selbst ein Pilotprojekt nicht her“, sagte Otte-Kinast.

Im Ausschuss hatte sich eine lebhafte Diskussion darüber entsponnen, wer an der jetzigen Situation die Schuld trage. Grupe nannte es ein Politikversagen, wie er es im Agrarbereich noch nie erlebt habe. „Nur weil man sich in Berlin nicht über die Zulassung der Lokalanästhesie einigen kann, werden die Landwirte in eine unmögliche Lage gebracht.“ Helmut Dammann-Tamke, agrarpolitischer Sprecher der CDU, sprach davon, dass die Politik mit dem Gesetz die Berufsgruppe überfordere. Er prognostizierte, dass die Menge der Ferkel aus Deutschland zurückgehen werde. „Ob es dem Tierschutz hilft, wenn die Deutschen weiter Schwein essen, die Tiere aber aus Ländern mit weniger tierfreundlichen Bedingungen kommen, sehe ich nicht.“ Miriam Staudte (Grüne) widersprach den Schuldzuweisungen an die Politik. „Es ist falsch, hier von einem Politikversagen zu sprechen, hier haben die Betriebe versagt. Ihnen ist es seit fünf Jahren bekannt, dass das Gesetz kommt, und jetzt wollen sie es in letzter Minute stoppen.“ Die SPD-Abgeordnete Karin Logemann allerdings mahnte, dass Schuldzuweisungen nun auch nichts mehr brächten. „Ich würde mir wünschen, dass wir daraus lernen und verhindern, dass so etwas nochmal passiert. Wenn wir lange Fristen vor uns haben, dürfen wir nicht mehr dem Irrglauben erliegen, wir hätten noch ganz viel Zeit.“