Die niedersächsische Landtagsfraktion will derzeit wieder ganz hoch hinaus – zum vierten Mal ist eine Klausurtagung auf einer der ostfriesischen Inseln, zum zweiten Mal auf Norderney. „Hier lässt man sich den Wind um die Ohren blasen und kommt auf frische Gedanken“, schwärmt ein leicht verschnupfter CDU-Landesvorsitzender Bernd Althusmann, der zwar der Fraktion nicht angehört, wohl aber die zentrale Figur dieses Treffens ist. Denn die Landes-CDU richtet sich schon ganz auf ein großes Ereignis ein, die Landtagswahl im Januar, deren Ausgang nur sehr begrenzt in ihren Händen liegt, weil dazwischen die vermutlich für die politische Stimmung in der Republik überaus prägende Bundestagswahl stattfindet. Wie also soll man sich auf etwas vorbereiten, das vermutlich doch überwiegend von außen bestimmt wird?

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Die CDU versucht es auf Norderney mit einem Dreiklang: Pflege einer angenehmen Atmosphäre und des Wir-Gefühls, Schärfung des politischen Profils und Glättung des Übergangs der Generationen in den eigenen Reihen. Was Punkt eins angeht: Die CDU nutzt die gegenwärtig komfortable politische Lage, um die intern gute Stimmung noch etwas zu heben. Da kommen die unerwartet klaren Landtagswahlsiege im Saarland, in Schleswig-Holstein und vor allem in Nordrhein-Westfalen gerade recht. Man feixt und scherzt, und einige ältere und erfahrene Kollegen warnen, jetzt bloß nicht mit Hohn und Spott auf den derzeit so glücklosen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz einzudreschen – denn Hochmut, mahnt etwa Landtagspräsident Bernd Busemann, könne sich eben rasch auch rächen. Auch die gegenwärtigen Probleme der rot-grünen Landesregierung bei der ordnungsgemäßen Bearbeitung von staatlichen Auftragsvergaben tragen zur guten Laune bei der CDU bei. Die Partei meint, die politischen Gegner derzeit ein wenig vor sich hertreiben zu können, also bereits in der Offensive zu sein. Für den einstigen Innenminister Uwe Schünemann, den seine Gegner schon so oft im politischen Abseits verortet hatten und der jetzt in diesem Fall als CDU-Aufklärer wieder sehr gefragt ist, bedeutet das sichtbar eine Wiedergutmachung. Er ist nun wieder da, wieder in der Mitte der Fraktion.

Zweitens geht es auf Norderney auch um die Inhalte. Die CDU-Strategen haben aufmerksam registriert, welche drei Politikfelder bei den jüngsten Landtagswahlen die Leute vor allem bewegt haben – die innere Sicherheit, bei der die CDU kompromisslos für eine starke Polizei streitet, die Infrastruktur, die von guten Nahverkehrsnetzen bis zu leistungsfähigen neuen Straßen und Autobahnen reicht, und vor allem die Schulpolitik. Dass die Förderschulen aufgelöst werden und die Inklusion viele Lehrer, Schüler und Eltern unvorbereitet trifft, dass der Lehrermangel an vielen Schulen zu massivem Ärger führt und dass die Investitionen in neue Unterrichtsformen und die Digitalisierung spürbar nicht richtig vorankommen, war in NRW vermutlich ein Hauptgrund für die Abwahl von Rot-Grün. Althusmann sieht das auch so. Er präsentiert der Landtagsfraktion sein „Bildungspapier“ mit vielen Details. „Man merkt, dass er mal Kultusminister war“, lobt der langjährige Landtagsabgeordnete Heinz Rolfes und meint das anerkennend.

Uwe Schünemann (links), Bernd Busemann und weitere Teilnehmer auf dem Weg zum Abendessen auf Norderney – Foto: KW

Althusmann sagt, gegenwärtig befinde sich die Unterrichtsversorgung „in einem Notstand“. Für die bis 2020 fehlenden 3000 Lehrerstellen werde es vermutlich nicht genügend Absolventen geben, dies sei aber auch nicht nötig. „Wir haben genügend Stellen im System, um eine 100-prozentige Unterrichtsversorgung gewährleisten zu können.“ Die Zuweisung von Lehrerstellen etwa für Ganztagsunterricht, Sprachförderung und Inklusion müsse man überprüfen und gegebenenfalls kürzen, damit andere Bereiche verstärkt werden können. Der CDU-Chef will ein mindestens einjähriges Moratorium für die Inklusion, es sollten erst einmal keine weiteren Förderschulen mehr geschlossen werden. Die Stundenzahl im elften Schuljahr des Gymnasiums solle auf 32 angehoben werden, bei der Gründung neuer Gesamtschulen solle eine Kommune die Existenz von Gymnasien, Haupt- und Realschulen nachweisen müssen, die Schullaufbahnempfehlung nach Klasse fünf solle wieder eingeführt werden, ebenso die Benotung in der Grundschule ab Klasse 3. Außerdem will Althusmann die Steuerverbundquote wieder ändern: Die Kommunen sollen 16,05 Prozent von ausgewählten Steuereinnahmen des Landes erhalten, nicht wie bisher 15,5 Prozent. Damit hätten die Kommunen mehr Möglichkeiten, für die Bildung zu investieren.

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Die dritte, intern vielleicht wichtigste Aufgabe dieser Fraktionsklausur ist der bevorstehende große Generationswechsel. Fast 20 der 54 CDU-Landtagsabgeordneten treten nicht wieder an, unter den neuen Bewerbern sind viele junge Leute oder solche – wie Althusmann – die einige Jahre nicht im Parlament waren. Auf Norderney sind sie nicht dabei, hier treffen sich die Altgedienten und für viele von ihnen wird es ein Abschiedstreffen, die letzte große gesellige Zusammenkunft mit den Politikerkollegen. Als Fraktionschef Björn Thümler einige zu Beginn des geselligen Abends im Restaurant „Weiße Düne“ besonders begrüßt, etwa den Landtagsvizepräsidenten Karl-Heinz Klare, kommt es fast zu rührenden Szenen, man prostet sich zu und schwelgt in der Erinnerung an alte, glorreichen Zeiten der Regierungsverantwortung. Zu vorgerückter Stunde holt dann Johann-Heinrich Ahlers aus Nienburg, der auch nicht wieder antritt, sein Akkordeon hervor – und der harte Kern schmettert bis nach Mitternacht Volkslieder. „Alle Vögel sind schon da“ kommt vor, das Niedersachsen-Lied auch, später dann „What shall we do with the drunken sailor“.

Für einen Blick aufs Meer blieb nur wenig Zeit: Norderney – Foto: KW

Die vielen Übergänge, die nun bevorstehen, sind für die CDU Chance und Problem zugleich. Wo langjährige Abgeordnete nicht mehr kandidieren, etwa Ingrid Klopp in Gifhorn oder Lothar Koch in Duderstadt, fehlen dann auch Leute, die schon wegen ihrer hohen Bekanntheit und Beliebtheit gute Resultate garantiert haben. Umgekehrt unterstellt man den Neulingen, dass sie sich besonders im Wahlkampf engagieren werden, da sie sich ja erst den Wählern vorstellen müssen. Und dann ist da noch der Übergang vom Bundestags- zum Landtagswahlkampf: Wenn der eine gelaufen ist, muss man sich zum nächsten aufraffen – und das in einer Zeit, in der der Herbst naht und Weihnachten nicht weit weg ist. Viel Motivation ist dann nötig. Augenblicklich hat die CDU viel davon, aber wie wird es wohl im Oktober sein? „Wenn es nach mir geht, könnten wir jetzt sofort Landtagswahlen haben“, sagt ein CDU-Abgeordneter zu vorgerückter Stunde. Vor drei Monaten, als die bundesweiten Umfragen noch ganz anders aussahen, hatte das auch Ministerpräsident Stephan Weil gesagt. (kw)