Es ist ein Segen – und es ist auch ein Fluch. Seine Heimatstadt, sagt Hamelns Oberbürgermeister Claudio Griese, entfaltet eine ganz besondere Attraktivität für junge Leute, die hier heimisch werden wollen. Schöne alte Bausubstanz, eine wundervolle Landschaft in der Umgebung und eben die Nähe zu einer Metropole. In maximal 45 Minuten ist man in der Landeshauptstadt Hannover. Was so schön ist, ist gleichzeitig auch so bitter.

Pittoresk, aber im Wettbewerb mit der Landeshauptstadt: Hameln – Foto: Blickfang

Immer öfter, wenn Griese nach fachlich qualifizierten Kräften für seine Stadtverwaltung sucht und glaubt, einen geeigneten Bewerber gefunden zu haben, kommt es doch nicht zum Vertragsabschluss – weil der Interessent doch lieber nach Hannover geht, in die Regionsverwaltung oder die Stadtverwaltung. „Die Sogwirkung der Landeshauptstadt ist nicht zu leugnen“, sagt der Hamelner OB. Seine Kollegen in Hildesheim und Celle, ebenfalls mittelgroße Städte am Rande von Hannover, haben diese Sorgen auch. „Unsere Nachwuchskräfte werden abgeworben“, klagt etwa Celles Stadtoberhaupt Jörg Nigge.

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In den drei Kommunen verstärken sich zwei aktuelle Probleme gegenseitig: Zum einen macht sich der demographische Wandel im öffentlichen Dienst immer stärker bemerkbar. Hier werden geringere Löhne gezahlt als in der Privatwirtschaft, auch die Aufstiegsmöglichkeiten sind oft schlechter. Gut qualifizierte junge Leute, die ältere Beamte und Angestellte nach deren Pensionierung ersetzen können, gibt es nicht so viele. Der Präsident des Bundesverwaltungsamtes hat vor wenigen Tagen öffentlich schon nach einem „riesigen Einstellungsprogramm“ gerufen, weil er massive Probleme in den Behörden erwartet. Zum anderen merkt man gerade auch im öffentlichen Dienst ein Stadt-Land-Gefälle, wobei mittelgroße Städte wie Hameln dann schon als ländlich eingestuft werden. Wenn sich jemand entschieden hat, doch für eine Kommune arbeiten zu wollen, schnappt Hannover ihn den anderen Städten nicht selten vor der Nase weg. Der Reiz, in einer Großstadt arbeiten (und eben auch leben) zu können, ist gerade für junge und ungebundene Menschen durchaus oft ausschlaggebend für die Berufswahl.

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Wo merkt man das denn besonders? Hamelns Oberbürgermeister nennt drei Bereiche, in denen sich der Fachkräftemangel abzeichnet: Erstens bei den Bauleuten, insbesondere Bauingenieure, Architekten – aber auch Ingenieure für Elektroinstallationen und für Haustechnik. Weil jede Kommune immer auch ein großer Bauherr ist, ob für Verwaltungsbauten, Bürgerhäuser oder Kindergärten, braucht man solche Fachleute dringend. Zweitens bei den Erziehern für die Kinderkrippen und -gärten, und das ist ein generelles Problem. Von den klassischen „Kindergärtnerinnen“ wird immer mehr erwartet, sie sollen immer höhere Ansprüche erfüllen – aber sowohl Ausbildung als auch Bezahlung sind noch auf einem niedrigen Niveau und spiegeln längst vergangene Zeiten wieder, als die Beschäftigten vor allem auf die Kleinen „aufpassen“ sollten. Drittens die Berufsfeuerwehrleute, die man kaum finde. Auch für die Stellen von Brandmeistern suche man sehr lange und stelle fest, wie viel attraktiver die Wehr in der Landeshauptstadt für Interessenten sei. Das sieht auch Oberbürgermeister Ingo Meyer in Hildesheim so, er sieht bei der Berufsfeuerwehr „eine Konkurrenz zu Hannover“.

Griese, Nigge und Meyer sprechen noch nicht davon, dass bei ihnen große Personalnot herrsche. Glücklicherweise habe die Stellenbesetzung immer noch geklappt, wenn auch manchmal mit Umwegen. „Allerdings teilweise erst nach mehreren Ausschreibungen“, sagt Nigge. „2010 hatten wir 30 interne und externe Ausschreibungen, 2016 waren es schon 75 – und 15 davon mussten wir abbrechen, weil wir keine geeigneten Bewerber gefunden hatten“, berichtet Griese. Wenn man einen Friedhofsgärtner nicht finde, sei das vielleicht für eine gewisse Zeit zu verkraften. Die Stelle eines Fachbereichsleiters hingegen könne man nicht länger unbesetzt lassen, und dann komme man bei der Suche oft schon ins Schwitzen.

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Wie kommen die Oberbürgermeister aus dieser Falle heraus? Mehr Geld können sie kaum bieten, das erlaubt der Tarifvertrag nicht. „Wir müssen eher mit Familienfreundlichkeit und gutem Arbeitsklima werben“, meint Nigge. Griese sagt, viele Mitarbeiter könnten auch von zuhause aus arbeiten, die Stadt könne als Arbeitgeber auf viele Bedürfnisse der Beschäftigten eingehen. Das sei von Vorteil. Meyer erklärt, wichtig seien neben einem angenehmen Arbeitsumfeld auch verlässliche Arbeitszeiten und „die Möglichkeit zu eigenen Freizeitaktivitäten“.

Wenn man darüber hinaus noch bessere Möglichkeiten hätte, Leistung besonders zu belohnen, wäre auch das sinnvoll, fügt er hinzu. Eines sei aber auch klar, ergänzt Nigge: „Mit der Zugkraft der Metropolen können wir trotzdem nicht mithalten.“ Schon dann, wenn die Stadt Celle junge Leute in eine Verwaltungsausbildung schicke, würden diese oft von Behörden oder der Uni in Hannover abgeworben – zumal Ministerien in der Lage seien, bei gleicher Qualifikation bessere Aufstiegschancen zu bieten. Schließlich kann auch verstärkte Kooperation eine Lösung sein, wie das Vergaberecht zeige.

Griese erläutert, wie sehr EU-Auflagen inzwischen jede öffentliche Auftragserteilung prägen – und auf wie viele komplizierte Regeln jede Verwaltung, auch in Rathäusern kleiner Gemeinden, achten müsse. Da sei es sinnvoll, diese Aufgaben für mehrere benachbarte Kommunen zu bündeln. „Überall geht das nicht“, sagt der Hamelner Oberbürgermeister, „aber in einigen Fällen ist es ratsam“. (kw)