Josef Lange, früherer Staatssekretär im niedersächsischen Wissenschaftsministerium, ist seit drei Jahren Vorsitzender des Rates für deutsche Rechtschreibung. Dieses Gremium wacht über die deutsche Sprache – und gibt regelmäßig Empfehlungen für Veränderungen heraus. Nach der jüngsten Sitzung  Ende März hat es davon abgeraten, den „Genderstern“ in den offiziellen Sprachgebrauch einzuführen. Beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick hat Lange jetzt diesen Schritt begründet und über seine Arbeit berichtet.

Josef lange in der Redaktion des Politikjournals Rundblick – Foto: MB.

Rundblick: Die Stadt Hannover hatte zu Zeiten von Oberbürgermeister Stefan Schostok versucht, den Genderstern in die offizielle Amtssprache einzuführen. Andere Städte und auch Universitäten sind auf einem ähnlichen Weg. Warum sind Sie skeptisch?

Lange: Ich sehe diese Entwicklung mit großer Sorge – und das vor allem aus zwei Gründen. Erstens drückt die Debatte über die Einführung eines Gendersternchens oder über eine Sprechpause vor einer Endung „-innen“ im Fernsehen und im Radio eine gesellschaftspolitische Diskussion aus. Es geht um Sprache nur als Mittel für einen politischen Zweck. Aber in der Realität spiegelt sich das nicht wider. Niemand auf der Straße spricht so, wie manche meinen, dass in offiziellen Schriftstücken geschrieben werden müsse. Zweitens bestreite ich, dass diese Diskussion breite Schichten bewegt – und diejenigen, die als Protagonisten der Veränderung auftreten, drohen sich vom Sprachverständnis der Bevölkerung zu entfernen. Schlicht ausgedrückt: Sie werden irgendwann nicht mehr verstanden.

  Es geht um Sprache nur als Mittel für einen politischen Zweck.  

Rundblick: Ist nicht jedermann klar, worum es geht?

Lange: Nein, eben nicht. Die schulischen Leistungen in deutscher Rechtschreibung sind in den vergangenen Jahren beständig schlechter geworden. Viele übersehen zudem, dass zwölf Prozent aller  Erwachsenen in Deutschland – gemeint sind hier deutschsprachige Menschen, die 15 Jahre und älter sind – Schwierigkeiten mit der deutschen Rechtschreibung haben. Wir wollen Zugewanderte über die Sprache integrieren, ein absolut notwendiger Schritt. Aber wenn die ohnehin schon komplizierte deutsche Sprache noch komplizierter dargeboten wird, fällt das umso schwerer. Ein anderes Problem liegt beispielhaft in der Philosophie, wenn es darum geht, die Texte der großen Meister wie Immanuel Kant im Original zu lesen. Wenn das Gender-Sternchen dazu führt, dass man sich noch weiter von den historischen und überlieferten Texten entfernt, wird die Zahl der Deutsch-Lernenden im Ausland noch weiter zurückgehen.

Rundblick: Wäre es nicht eine Lösung, wie in Frankreich eine Institution zu schaffen, die klare Regeln vorgibt?

Lange: Wir haben bei uns eine Zweiteilung. Für die Verwaltungs- und Rechtssprache ist der Bund zuständig, vertreten durch das Bundesinnenministerium. Was die in der Schule vermittelte Sprache angeht, sind die Länder verantwortlich –die Kultusministerkonferenz entscheidet. Sie tut das auf der Basis von  Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung, dem ich vorsitze. Aber in diesem Rat sind die Schweiz, Österreich, das Fürstentum Liechtenstein, die Autonome Provinz Bozen-Südtirol und die  Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens eingebunden. Die deutsche Sichtweise  darf deshalb nicht zu dominant werden. Wir – der Rat für deutsche Rechtschreibung – beobachten die Sprache und machen Vorschläge. Die deutsche Sprache war immer sehr stark durch verschiedene Dialekte und Ausprägungen gekennzeichnet. Deshalb ist eine zentralistische Vorgabe wie in Frankreich bei uns schwer vorstellbar – sie wäre auch ahistorisch,  selbst wenn der Gedanke an eine solche Regelung bei uns vermutlich leider viele Anhänger hätte, weil sie einfache Lösungen verspräche.

Die Gender-Debatte wird gegenwärtig in Deutschland viel intensiver geführt als in  den anderen deutschsprachigen Ländern, sagt Josef Lange – Foto: MB.

Rundblick: Und welche Rolle hat der Duden?

Lange:  Der Duden hatte seit der Zweiten Orthografiekonferenz 1901 eine bestimmende Rolle für die deutsche Schriftsprache, für die damalige Bundesrepublik für Zweifelsfälle der Rechtschreibung bestätigt durch die Kultusministerkonferenz 1955, aber nur bis zu einer Neuregelung. Diese kam mit der Rechtschreibreform von 1998/2005. Als die Duden-Redaktion sich kürzlich entschied, in der digitalen Ausgabe das generische Maskulinum nicht mehr anzuwenden, also künftig unter dem Bäcker nur noch den männlichen Bäcker versteht und nicht mehr auch die Frau, die diesen Beruf ausübt, war das schon ein Einschnitt. Aus meiner Sicht hat die Duden-Redaktion hier versucht, Sprachpolitik zu betreiben.

Rundblick: Sind Sie verärgert darüber? Der von Ihnen geführte Rat hat dem Vorbild des Duden bisher nicht Folge geleistet…

Lange: Ich darf darüber nicht verärgert sein, denn das ist nicht meine Rolle. Der Rat beobachtet die Sprachentwicklung und  formuliert dazu Empfehlungen für die staatlichen Stellen. Die Aufgabe des Rats ist es aber gleichzeitig, dass eine vornehmlich in Deutschland geführte Diskussion nicht zu prägend  für die deutsche Sprache an sich sein darf.

Rundblick: Ist die Gender-Debatte typisch deutsch?

Lange: Sie wird gegenwärtig bei uns viel intensiver geführt als in  den anderen deutschsprachigen Ländern. Wenn die Duden-Redaktion sich vom generischen Maskulinum verabschiedet, beachtet sie meiner Meinung nach nicht einen wichtigen historischen Aspekt: Dass nämlich über viele Jahrhunderte damit eindeutig rechtlich Männer und Frauen gemeint waren. Zuerst festgelegt wurde das schon im römischen Zivilrecht aus dem Jahr 529. Das hat also eine sehr lange Tradition mit eindeutigen Bezugsregeln.

Man muss sich davor hüten, mit der Sprache eine Spaltung zu vertiefen zwischen denen, die sich in einer bestimmten Klientel bewegen und jenen, die außerhalb bleiben.  

Rundblick: Wo sehen Sie die Gefahren einer veränderten Sprache? Muss sich Sprache nicht ganz natürlich weiterentwickeln?

Lange: Sicher muss sie das, aber  es gilt doch immer auch der Satz von Martin Luther, dass man dem Volk aufs Maul schauen soll. Mit anderen Worten: Man muss sich davor hüten, mit der Sprache eine Spaltung zu vertiefen zwischen denen, die sich in einer bestimmten Klientel bewegen und jenen, die außerhalb bleiben.

Rundblick: Was meinen Sie genau?

Lange: Mir bereitet vor allem die Entwicklung an den Hochschulen große Sorge. Sie manövrieren sich gesellschaftspolitisch in eine Ecke hinein, aus der sie schwer wieder rauskommen können. Viele Befürworter einer Gender-Sprache verfolgen damit  politische Ziele, sie betreiben Identitätspolitik und wollen es beispielsweise „alten weißen Männern“ verbieten, über die Benachteiligung von Frauen zu reden. Wenn man das weiterdenkt, bedeutet es eine Verabschiedung von den Objektivitätsansprüchen der Wissenschaft, in der  alle Teilnehmer ihre Kriterien offenlegen  und einen Austausch verschiedener Ansichten ermöglichen. Die Identitätspolitiker wollen das unterbinden und bewirken, dass sich die einzelnen Mitglieder nur jeweils in ihrer eigenen Gruppe unterhalten  wollen. Eine Verständigung findet also nicht mehr statt.

Rundblick: Was können Sie dagegen tun?

Lange: Der Rat für deutsche Rechtschreibung kann nur warnen und mahnen – und immer wieder darauf hinweisen, dass mit  solcher  Änderung der Sprachregeln die Verständlichkeit und damit auch die Verständigungsfähigkeit und -bereitschaft leiden. Da gibt es kuriose Beispiele: Als neulich über die Kieler Woche im Radio berichtet wurde, war von „Zuschauer_innen“ die Rede. Der Zusammenhang des Satzes war so missverständlich, dass man an eine Unterscheidung zwischen Zuschauern drinnen und draußen denken musste – obwohl die  Sprecherin das gar nicht gemeint hatte. Es gibt viele solcher Beispiele, leider.

Rundblick: Nennen Sie welche…

Lange: Wenn es um die Verständlichkeit des Gehörten geht, sollte man sich mal die Schreibweisen in Stellenausschreibungen ansehen, etwa bei der Suche nach Fachleuten auf dem Bau. Hier wird ein „Bauoberinspektoranwärter*in“ gesucht. Wollte man in der Logik der „gegenderten Sprache“ aber konsequent sein, so müsste es heißen „Bauoberinspektor*inanwärter*in“. So redet kein Mensch und das versteht auch niemand.