Würden Sie für 86 Cent fast 300 Kilometer weit fahren? WDR-Intendant Tom Buhrow, der gerade auch den ARD-Vorsitz innehat, macht es. Am Mittwoch war er aus der WDR-Zentrale in Köln in den niedersächsischen Landtag gekommen. Der Medienausschuss hatte zur Anhörung geladen, es ging um den Medienänderungsstaatsvertrag. Und dabei geht es eben auch um eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent je Monat und Haushalt ab dem kommenden Jahr, das sind für den geplanten Vier-Jahres-Zeitraum für ARD, ZDF und Deutschlandradio über 1,5 Milliarden Euro. Dafür kann man die Strecke dann doch auch einmal auf sich nehmen.

In der Anhörung, an der neben Buhrow unter anderem auch NDR-Intendant Joachim Knuth, ZDF-Intendant Thomas Bellut sowie die Geschäftsführer der beiden großen niedersächsischen privaten Hörfunksender radio ffn und Antenne Niedersachsen, Harald Gehrung und Kai Fischer, teilnahmen, schrieb der WDR-Chef der Politik ins Stammbuch, wo ihre medienpolitischen Aufgaben in den kommenden Jahren liegen. Und es wurde deutlich, dass die Privatsender inzwischen vor der Übermacht der öffentlich-rechtlichen Dominanz nahezu kapituliert haben.

ARD hat 20 Prozent der Stellen abgebaut

Aber zunächst einmal zum Geld. Notwendig, aber auch ausreichend sei die Erhöhung um 86 Cent, erklärte Heinz Fischer-Heidlerger, Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfes der Rundfunkanstalten (KEF). Man halte daher trotz der Corona-Krise an der geplanten Erhöhung fest, die noch von allen Landtagen beschlossen werden muss. Die Anstalten machten deutlich, dass trotz der Erhöhung kräftig gespart werden muss, schließlich war der Beitrag zuletzt im Jahr 2015 sogar reduziert worden, Preise und Gehälter stiegen aber weiter. „Man habe in der ARD seit Anfang der 90er Jahre fast 20 Prozent der Stellen abgebaut“, erklärte Buhrow zur Situation.

Auch aktuell liefen Sparprogramme, der NDR baue 400 Stellen ab, der WDR 500. Bisher findet das alles noch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, sprich: in den Programmen selbst ist für die Zuschauer und Hörer noch nicht viel davon zur spüren. „Wir kommen jetzt aber an einen Punkt, wo man nicht mehr glauben darf, dass noch mehr Kürzungen möglich sind. Es kann nicht mehr nur hinter den Kulissen stattfinden, das wird auch im Programm sichtbar sein“, mahnte Buhrow. Während Bellut für das ZDF ankündigte, beim Spitzensport einsparen zu wollen, sprach NDR-Intendant Kluth vom „größten Sparprogramm in der Geschichte“ seiner Anstalt. In der nächsten Beitragsperiode müssten 300 Millionen Euro eingespart werden. Und auch Kluth warnte: Bisher habe man Informationen und Regionalität weitgehend aus den Kürzungen herausnehmen. Bisher.

Welche Welle in Ihrer Region wollen Sie denn aufgeben? An dieser Stelle wird die Debatte dann interessant.

Soll aber auch künftig weiter gekürzt und gestrichen werden, kommt man über eine Diskussion um den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht herum. Das gab Buhrow den Landespolitikern auch deutlich mit auf den Weg. Wer weiter sparen wolle, müsse auch konkret werden, meinte der WDR-Intendant und bereitete die Landespolitik, deren Aufgabe das ist, dabei schon einmal auf kontroverse Debatten vor. „Sobald man an den Auftrag geht, gehen die Leute auf die Barrikaden. Sie mögen vielleicht die Finanzierung nicht immer, aber sie mögen die Produkte, zumal in ihrer Region“, sagte Buhrow und verwies auf heftige Diskussionen, als beim hessischen Kultursender HR2 der Wortanteil leicht reduziert werden sollte, oder den Kampf um den Chor des Norddeutschen Rundfunks.

Wer die 64 öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramme in Frage stelle, dem stelle er die Gegenfrage: „Welche Welle in Ihrer Region wollen Sie denn aufgeben? An dieser Stelle wird die Debatte dann interessant“, so Buhrow. Es gebe keinen Hebel, der alles kürze außer im Bereich der eigenen Landesrundfunkanstalt, so seine Ansage gegenüber den Landespolitikern. Die ARD werde sich bei der Diskussion um den künftigen Auftrag „nicht eingraben“ versprach er. „Wir werden nicht nur ‚geht nicht, geht nicht‘ sagen.“

Hauptkonkurrenz sind die Streaming-Dienste

Die Privatsender haben sich derweil schon längst damit abgefunden, dass sie mit dem Milliardensystem der Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr konkurrieren können, zumal die Corona-Krise dort viele größere Verwüstungen angerichtet hat. Radio ffn-Geschäftsführer Harald Gehrung verwies auf massive Werbeeinbrüche im April und Mai, man habe 30 Prozent der Belegschaft in Kurzarbeit schicken müssen, beim Partner-Sender in Bremen gebe es immer noch Kurzarbeit und man sei dabei, sich von Mitarbeitern zu trennen. „Das ist privates Sparen“, machte Gehrung gegenüber den ARD-Bossen deutlich. Mehrmals lobte er zugleich den NDR, der sich „vorbildlich“ aus Bereichen zurückgezogen habe, „die im Privatfunk besser aufgehoben“ seien, zum Beispiel das Sportsponsoring.

Und für die Zukunft sieht Gehrung sogar eine stärkere Zusammenarbeit zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern. Hauptkonkurrenten seien inzwischen Streaming-Dienste wie Spotify, die künftig lineares Radio nachbilden wollten. Deshalb müssten ARD- und Privatradios nicht mehr gegen-, sondern miteinander arbeiten. Im privaten Hörfunk konzentriere man sich also vor allem auf einen Abwehrkampf. Selbst bei den Privatsendern wird deshalb inzwischen gefordert, die journalistische Qualität der ARD langfristig zu sichern, was aber auch mit der Aufgabe einer Diskussion über den Programmauftrag einhergeht. Denn dafür müssen dann auch aus Kostengründen möglicherweise andere Elemente wegfallen. Kai Fischer von Antenne Niedersachsen forderte deshalb auch eine tiefgreifende Reform auf die Auftragsschwerpunkte Information, Kultur und Bildung. Drei Elemente, die weder mit TV-Sendungen wie „Sturm der Liebe“ noch mit Dudelsendern wie NDR2 zu tun haben. Die Diskussion um den Auftrag könnte noch härter werden, als es sich die Landespolitik bisher vorstellen kann.

Von Martin Brüning