Zuletzt wurde die Landesverfassung erst im vergangenen Jahr verändert: In die Liste der Staatsziele, die wie wichtige politische Bekenntnisse und Postulate verewigt werden, kam noch ein weiteres hinzu: „In Verantwortung auch für die künftigen Generationen schützt das Land das Klima und mindert die Folgen des Klimawandels“, heißt es nun in Artikel 6c. Nach dem Willen der FDP soll nun noch ein anderes Bekenntnis hinzukommen – die Orientierung an „individueller und gesellschaftlicher Wohlstandsmehrung“.

Wie der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner vor Journalisten erläuterte, richtet sich der Vorstoß seiner Partei gegen jene Kräfte, die beispielsweise in der Phase der Corona-Pandemie an einer wachstumsorientierten Politik generell zweifeln und ein Zurückfahren jeglicher Wirtschaftstätigkeit mit einer Schrumpfung bezwecken. Jüngst haben linksextremistisch angehauchte Initiativen wie „Zero-Covid“ von sich reden gemacht, die als Antwort auf die gegenwärtige Krise eine radikale Drosselung der Wirtschaftstätigkeit verlangen – und dies in anderer Zusammensetzung auch schon im Zusammenhang mit dem Klimaschutz kundgetan hatten.

Birkner sagte, ein Bekenntnis zum Wachstum sei jetzt angebracht. Dabei sieht der Vorschlag der FDP vor, nicht etwa neben den schon bestehenden Staatszielen im Artikel 6 (Schutz und Förderung von Kunst, Kultur und Sport), 6a (auskömmliche Arbeit und angemessener Wohnraum), 6b (Tiere werden als Lebewesen geachtet) und 6c (Klimaschutz) noch einen Artikel 6d hinzuzufügen. Vielmehr will die FDP schon in Artikel 1 ansetzen. Dort heißt es bisher, bereits ein wenig umständlich: „Das Land Niedersachsen ist ein freiheitlicher, republikanischer, demokratischer, sozialer und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland und Teil der europäischen Völkergemeinschaft.“ Geht es nach den Freien Demokraten, dann würde dieser überlange Satz jetzt noch ein wenig länger, denn hinter dem Wort „sozialer“ soll eine neue Einfügung hinzukommen: „…sozialer, an individueller und gesellschaftlicher Wohlstandsmehrung orientierter…“ Ob die Formulierung damit überfrachtet würde und es nicht sinnvoller wäre, mehrere Sätze zu bilden, lässt die FDP hier außer Acht.

In der Begründung zum Vorstoß heißt es, Niedersachsen solle sich „zu einer wettbewerbsfähigen Standortpolitik als Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung bekennen“. Dass diese Aussage zum Wachstum nun aber auch so gedeutet werden kann, für ein umfangreicheres Bruttoinlandsprodukt notfalls auch die Staatstätigkeit anzukurbeln und dafür neue Schulden aufzunehmen, sieht Birkner nicht als reale Gefahr an. „So meinen wir das definitiv nicht“, sagt er. Die FDP gilt im Landtag als die Partei, die am vehementesten für die Beibehaltung der Schuldenbremse eintritt. Nun gibt es Stimmen, die meinen, ein striktes Beachten der Schuldenbremse sei nur um den Preis einer Schrumpfung der Ausgaben und damit auch eines Rückgangs des Bruttoinlandsproduktes zu erreichen.

Regelmäßig dann, wenn über ein neues Staatsziel diskutiert wird, kommt ein Streit über die Frage auf, wie einklagbar eine solche Formulierung in der Landesverfassung ist – oder ob es sich lediglich um „Verfassungslyrik“ handelt, also um eine letztlich unwirksame Bestimmung. Die Ansichten gehen dabei auseinander, wobei einige Stimmen den Staatszielen schon eine Bedeutung beimessen. In dem Moment, in dem eine politische Entscheidung der Landesregierung vor dem Staatsgerichtshof beklagt wird und die Richter diese anhand verschiedener Verfassungsartikel gegeneinander abwägen und gewichten müssen, könnte das Vorhandensein eines Staatsziels „Wirtschaftswachstum“ womöglich schon von Belang sein. Das könnte dann der Fall sein, wenn eine Regierung auf Investitionen oder auf die Wirtschaftsförderung verzichten würde und aus der Mitte des Landtags dagegen eine Klage angestrengt würde.