Annie Heger ist Sängerin, Moderatorin, Entertainerin – aber seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind ihr so gut wie alle Einnahmen weggebrochen. Im Interview mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter erzählt die Oldenburgerin von der Perspektivlosigkeit in ihrer Branche, falsch geschnürten Hilfspaketen und einer Solidarität, die sie doch noch hoffen lässt.

Rundblick: Wie geht es Ihnen in diesem Januar – nach knapp zehn Monaten mit Corona-Beschränkungen?

Heger: Jeder Tag ist anders. Ich bin normalerweise mehr von Zuversicht geprägt als von Unmut. Aktuell fühle ich mich aber wie in einem Loch: Ich habe keinen Bock mehr, die Situation, in der wir Kulturschaffenden uns befinden, überall zu erklären. Ich bin müde, so unfassbar müde.

Rundblick: Zwischenzeitig gab es doch aber Lockerungen auch für die Kultur- und Veranstaltungsbranche. Im Sommer bis in den Herbst hinein war wieder eine Menge erlaubt.

Heger: Es ist ein Unterschied, ob man etwas darf, oder ob es auch tatsächlich geht. Die „Wunderkammer“ im Harz beispielsweise hat 64 Plätze. Nach den geltenden Auflagen durften dort im letzten Jahr ein Zuschauer und ein Techniker im Saal sein und drei Menschen auf der Bühne sitzen – wenn sie sich nicht bewegen. Das rechnet sich natürlich nicht. Und nicht alle Angebote lassen sich spontan nach draußen verlegen.

Rundblick: Was macht die aktuelle Situation für Sie nun so besonders schlimm?

Heger: Die Corona-Pandemie dauert jetzt schon so lange an, dass die Perspektivlosigkeit einsetzt. Wir haben zurzeit gar keine Möglichkeit, Termine zu planen. Viele meiner Kollegen und ich versuchen deshalb seit März, unseren Beruf neu zu erfinden. Ich schreibe zum Beispiel Kolumnen für die Zeitung und das Radio. Aber solche Angebote hat ja nicht jeder. Mich macht besonders das dynamische Reagieren auf die Infektionszahlen fertig. Ich bin mir sicher, dass es noch sehr lange dauern wird. Deshalb würde es mir fast besser gehen, jetzt zu sagen: Bis Ende April geht gar nichts. Mir ist bewusst, dass das nur der Wunsch nach ein bisschen Gewissheit ist. Wir alle beobachten permanent die Entscheidungen der Politik und planen gerade die Verschiebung der Verschiebung der Verschiebung. Das ist extrem belastend. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sagen, sie wollen sofort wieder spielen, wenn sie dürfen, egal unter welchen Bedingungen. Uns betrifft die Corona-Politik so sehr, dass ich mich jeden Tag informieren muss. Ich muss eine Corona-Fachfrau sein und eine Hilfspaket-Fachfrau.

Rundblick: Als es im März losging mit den Absagen von Publikumsveranstaltungen haben Sie deutliche Kritik geübt an der Praxis, die Auftritte einfach um ein paar Monate oder ein Jahr zu schieben.

Heger: Das vergangene Jahr kann nicht mehr aufgeholt werden durch neue Termine. Es ist ein abgesagtes Jahr, kein verschobenes. Denn an dem Tag, an dem der verschobene Auftritt ist, hätte ich sonst ja ohnehin auch gearbeitet. Und es geht jetzt so weiter: Die Veranstalter fassen derzeit nicht mal das Jahr 2022 an. Wir haben ein abgesagtes Jahr hinter uns und zwei unplanbare vor uns. So langsam wie derzeit nur geimpft werden kann, wird es lange dauern, bis wir die Häuser wieder so füllen können wie früher. Es gibt keine Aussicht auf eine Verbesserung meines beruflichen Lebens. Und es ist auch kein Bestreben der Politik erkennbar, meinem Beruf wieder so etwas wie Normalität zu geben. Wenn jemand davon redet, dass unsere Auftritte ja nur verschoben wurden, wirkt das wie ein rosaroter Schleier, den jemand über die Lage geworfen hat. So rosig sieht es aber nicht aus.

Rundblick: Gab es Reaktionen auf diese Kritik?

Heger: Es gibt viele treue Fans, die auch früher schon wertschätzend mit Kultur umgegangen sind. Die haben ihre Tickets nicht zurückgegeben, damit die Veranstalter zumindest einen Teil der Gage für abgesagte Termine zahlen konnten. Als es dann Lockerungen gab, haben die sofort wieder Eintrittskarten gekauft. Jetzt sitzen die zuhause auf 30.000 Gutscheinen. Insgesamt gab mir dieses Verhalten Hoffnung. Es ist ein gutes Gefühl für unsere Gesellschaft.

Rundblick: Zuerst war die Politik mit Hilfen für Soloselbständige ja eher zögerlich, dann gab es doch was. Wie kam das bei Ihnen an?

Heger: Ich bin unfassbar dankbar, in einem Land wie Deutschland zu leben, in dem die Grundversorgung gesichert ist und das Politiker hat, die Hilfen für Soloselbständige und Kulturschaffende stricken wollten. Doch – wie ein Kollege von mir neulich so passend sagte: Sie haben uns die schönsten Mäntel geschneidert, aber sie passen nicht. Es gibt die größten Pakete mit vielen Euros – aber sie werden nicht abgerufen, weil sie an unserer wirtschaftlichen Realität vorbeigehen.

Rundblick: Inwiefern passten die Hilfen bei Ihnen nicht?

Heger: Von März bis Oktober habe ich rund 80 Prozent Verdienstausfall gehabt – aber keine Hilfen bekommen, die ich nicht hätte zurückzahlen müssen. Das lag auch daran, dass ich in den Jahren davor gemacht habe, was die Politik mir gesagt hat: Ich habe Geld für die Altersvorsorge zurückgelegt. Dadurch war dann aber mein „Vermögen“ zu groß, um staatliche Hilfen zu beantragen. Und dann kamen die November-Hilfen, die theoretisch gepasst hätten – aber ausgerechnet in dem Monat habe ich dann ausnahmsweise mal so richtig was verdient, weil ich zwei Veranstaltungen aus meiner Küche gestreamt habe. Die Ausstattung musste ich übrigens selbst bezahlen, denn das war ja keine Corona-Hilfe, sondern eine Investition. Es gibt also ein Überangebot an Hilfen, die aber nicht wirken.

Rundblick: Was hätte die Politik anders machen sollen?

Heger: Die Politik sieht uns Kulturschaffende gern als Impulsgeber. Ich hätte mir gewünscht, sie würden uns als Beratende dazu holen.  Ich wünsche mir, dass wir bei der Schnürung der Hilfsangebote beteiligt werden, die uns betreffen. Eine Art Gremium, das Soloselbstständige, Vertreter der Privat- und Staatstheater einbindet, damit mehr individuelle Situationen mitgedacht werden können. Momentan scheint es so, dass die Politik mit sich zufrieden ist, individuelle Mäntel, die nicht passen geschneidert zu haben und eine infrastrukturelle Förderung gestrickt zu haben, bei der oben Geld ins System gegeben wird, aber nichts unten ankommt, da es gerade dort oben so viele Kosten gibt, um alles am Laufen zu halten.