Die Grundschulkinder werden zum Opfer eines politischen Kompromisses
Eigentlich führt bei Corona ja die Wissenschaft das Wort, so heißt es. Zwischenzeitlich wurde immer wieder einmal gemutmaßt, dass Deutschland derzeit mehr von Virologen als von der Bundesregierung geführt wird. Seit der Bund-Länder-Konferenz am Dienstag hat sich daran etwas geändert, Grundlage der Entscheidungen ist neuerdings eine Mischung aus Gefühl und politischem Kompromiss. Im Zentrum steht dabei die Mutation des Corona-Virus, die es gibt, über die man aber nach wie vor nur wenig weiß. Von einem Risiko, „dass wir abstrakt kennen, aber konkret noch nicht bewerten können“, sprach Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil am Mittwoch. Erst zum Monatsende seien erste belastbare Ergebnisse zu erwarten. „Bis dahin sind wir gut beraten, Vorsorge walten zu lassen und es nicht darauf ankommen zu lassen“, warnte Weil.
Die Leidtragenden dieser neuen Vorsorge Politik sind einmal mehr die Kinder. Aktuell haben sie in den Grundschulen im Land Wechselunterricht. Dabei soll es zwar weiter bleiben, ab Montag können Eltern aber ihre Kinder aus Infektionsschutzgründen auch aus der Schule nehmen, die Präsenzpflicht wird wie vor Weihnachten aufgehoben. Das gilt auch für die Abschlussklassen. Dabei stellte Weil am Dienstag selbst fest, dass es am aktuellen Wechselunterricht eigentlich nichts auszusetzen gibt. Die Erfahrungen seien positiv, Experten sagten, dass mit dieser Form des Unterrichts eine wesentliche Reduzierung von Infektionsrisiken verbunden sei. Dennoch hatten Bund und Länder vereinbart, dass die Sache mit den Schulschließungen restriktiver gehandhabt werden soll. Daraus folgt in Niedersachsen: Aufhebung der Präsenzpflicht in der Grundschule, bis zum 14. Februar Unterricht zuhause für alle Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse mit Ausnahme der Abschlussklassen.
„Man kann sich nicht aussuchen, wann man mal auf die Wissenschaft hört und wann nicht“, kritisiert der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Hier sei eine politische Entscheidung getroffen worden, weil man im Konzert der Bundesländer nicht habe alleine stehen wollen. Försterling meint, man hätte an der bisherigen Schulstrategie festhalten können, der Aufhebung der Präsenzpflicht hätte es nicht bedurft. „Es versteht ja auch niemand mehr, wenn der Kultusminister am Montag noch den erfolgreichen Unterrichtsstart in den Grundschulen abfeiert, und am Mittwoch ist alles, was Montag noch in Ordnung war, plötzlich nicht mehr in Ordnung.“
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Niedersachsen, Laura Pooth, sieht durch die Aufhebung der Präsenzpflicht im Primarbereich zusätzliche Probleme für alle Beteiligten. „Da helfen auch die für dieses Jahr geplanten Leih-Laptops für Lehrkräfte nicht wirklich, die Missstände dauerhaft zu beseitigen“, sagte Pooth und bezeichnet es als Skandal, dass die Beschäftigten in der Schulen nicht lückenlos durch kostenlose FFP-2-Masken, Luftfilteranlagen und sonstige Hygieneausstattung geschützt würden. Die Grünen im Landtag schauten am Mittwoch zurück und warfen der Landesregierung vor, die Grundschulen sehenden Auges in ein unnötiges Chaos gestürzt zu haben. „Statt auf das anstehende Bund-Länder-Spitzentreffen zu warten, sind die Grundschulen Montag in den Wechsel-Unterricht geschickt worden“, erklärte die Fraktionsvorsitzende Julia Hamburg. Die Folge sei, dass Lehrkräfte sich jetzt um drei unterschiedliche Gruppen kümmern müssten und weiter belastet würden.
Nun liegt der Ball bei den Eltern der Grundschulkinder. Soll das Kind die Schule besuchen oder zuhause bleiben? Das Formblatt werde heute noch verschickt, bis Freitag solle wenn möglich die Entscheidung der Eltern vorliegen, erklärte Kultusminister Grant Hendrik Tonne am Mittwoch. Diese gilt dann für die kommenden drei Wochen und kann nicht noch einmal geändert werden, schließlich müssten die Schulen die nächsten Wochen auch planen können, sagte Tonne. Während manche Eltern sich jetzt zu einer Entscheidung gezwungen sehen, gibt man laut Stephan Weil mit diesem speziellen Weg den Eltern gerade die Freiheit, selbst zu entscheiden. Sie träfen in der Regel die beste Entscheidung für ihre Kinder.
Dieses spezielle niedersächsische Modell der Schulschließungen light ist dabei allerdings nicht nur ein Kompromiss aus den Bund-Länder-Gesprächen, sondern auch der Großen Koalition im Land. Die CDU hätte sich auch radikalere Schulschließungen vorstellen können, wurde dafür gestern sowohl von Grünen als auch der GEW scharf kritisiert. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder sprach dagegen von einem vernünftigen Weg, der nun gefunden worden sei. Sie nehme es der CDU ab, dass diese sich ernste Gedanken um die Ansteckungsgefahr in den Schulen mache, schließlich seien die Schulen „ein hochemotionales Thema“, bei dem man vernünftig abwägen müsse. Vernünftig abwägen sollen jetzt die Eltern. Stephan Weil sagte am Mittwoch, ob sie ihre Kinder in die Schule schickten oder zuhause ließen – beides sei eine gute Entscheidung. Na, dann ist ja alles klar.