Debatte der Woche
Soll die Arbeitszeit flexibler gestaltet werden – oder müssen wir gerade jetzt darauf achten, Arbeitsschutzregeln einzuhalten und die Gefahr einer Ausbeutung der Arbeitnehmer zu bannen?
Es war eine Entscheidung angesichts der Corona-Pandemie, die eine alte Debatte wieder belebte: Wie steht es mit den Arbeitszeitregeln, wie verbindlich müssen diese sein – und muss es mehr Flexibilität geben, gerade in besonderen Situationen? Angesichts der zugespitzten Situation in den Pflegeheimen hat das Sozialministerium entschieden, die Arbeitszeit der Pflegekräfte, Polizisten, Laborbeschäftigten, Feuerwehrleute und Gesundheitsämter auf maximal 60 Stunden in der Woche zu erhöhen – und auf maximal zwölf Stunden täglich. Prompt regte sich bei den Gewerkschaften und bei den Grünen Protest. Die Begründung des Sozialministeriums klingt überzeugend: Man muss vorbereitet sein darauf, bei steigenden Infektionszahlen mehr Patienten als bisher in den Kliniken pflegen und betreuen zu müssen. Da aber kurzfristig nicht mehr Pflegekräfte eingestellt werden können, schon weil diese nicht verfügbar sind, muss in der Notsituation deren Arbeitszeit erhöht werden.
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Nun gibt es zwei Arten, darauf zu reagieren – mit Verständnis oder mit Kritik. Die verständnisvolle Position besagt, in extremen Fällen müsse man gesteckte Grenzen überschreiten und von einigen Berufsgruppen ein noch stärkeres Engagement verlangen. Anders wäre die Aufgabe, die Situation möglichst gut zu bewältigen, nicht zu meistern. Mit der Erhöhung der Arbeitszeit ließen sich leichter Arbeitsgruppen in den Beschäftigten bilden, die dann geschlossen bleiben und eine erleichterte Block-Bildung im Arbeitsprozess zulassen – mal habe die eine Gruppe Dienst, mal die andere, und mit der relativen Abschottung nach außen schwindet die Ansteckungsgefahr.
Die kritische Haltung warnt vor einem Präzedenzfall: Wenn man einmal beginne, eine Ausnahmesituation zu gestatten, sei ein Damm gebrochen – und ähnliches könne dann immer wieder geschehen. Daher solle versucht werden, andere Wege zu mobilisieren – beispielsweise, indem frühere Pflegekräfte zurückgeholt werden. Man könne auch die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Medizinstudenten erleichtern. Die eigentliche Frage, ob damit kurzfristig Ergebnisse erzielt werden könnten, rückt dabei in den Hintergrund. Aber kurzfristige Lösungen sind angesichts des dramatischen Anstiegs der Neuinfektionen wohl unausweichlich. Die Befürworter verweisen darauf, die Erhöhung sei befristet, müsse ein halbes Jahr nach ihrer Verfügung mit Freizeitausgleich abgegolten werden – und es sei vor allem so, dass Geschäftsleitung und Betriebsrat in jedem Unternehmen einen solchen Weg ausdrücklich absegnen müssten.
Die Debatte über Arbeitszeitregeln und feste Vorgaben für tägliche und wöchentliche Arbeitszeit geht allerdings noch weiter – sie weist auch über die besondere Situation der Corona-Pandemie und des drohenden Notstandes in der Pflege hinaus. Hier ist die Corona-Krise nun der Auslöser für einen Trend, der auch ohne diese Pandemie gekommen wäre, vielleicht nicht so schnell wie jetzt. Wenn immer mehr Mitarbeiter ihre Arbeit auf das Home-Office verlagern, bleibt die Frage, wie Arbeitszeiten dort geregelt und gesteuert werden können. Soll man tägliche Höchstarbeitszeiten festschreiben – auch wenn deren Einhaltung kaum zu gewährleisten ist? Oder ist es nicht viel angemessener, dem Arbeitnehmer eine weitgehende Freiheit bei der Einteilung von Arbeit und Freizeit zu gewähren – und nur einen groben Rahmen, womöglich bezogen auf die Wochenarbeitszeit, vorzugeben?
Noch ist diese Diskussion nicht abgeschlossen, sie hat noch nicht einmal richtig begonnen. Aber die Corona-Krise befeuert sie jetzt.